Montag, 23. November 2015

“No-Make-Up!”: Wenn Superreiche zur Selbstliebe aufrufen

Wow, Julia Roberts ist „so mutig“! Sie hat es nämlich echt gewagt und so getan, als würde sie ein „No-Make-Up“-Foto von sich veröffentlichen … endlich gehört auch sie zu den 3.678 anderen millionenschweren Prominenten, die sich mit derartigen Inszenierungen durch unsere Timelines schlängeln und im Rampenlicht pseudo-feministischer Reflexion baden. Und unter dem Bild gibt’s – wie jedes einzelne verdammte Mal – die obligatorische „Herzensbotschaft“ von ihr dazu:
„Perfektion ist die Krankheit des Volkes“, und weiteres Blablabla: ‚Wir begraben uns selbst im Make-Up. Blabla, sollten statt unseren Gesichtern besser unsere Seelen korrigieren, denn die führen uns ins Licht. Blabla. Wie willst du je geliebt werden, wenn du so ein Arschloch zu dir bist und dich schminkst. Bla! Heute stehe ich für euch alle auf und weise euch den Weg zur Erlösung! Ich zeige euch [angeblich] Falten, bla! Und nun: Liebe! Bla, würg: Dein Inneres ist schön! Juhu! Bla! Und vor allem anderen: Liebe dich selbst!‘
Und die Welt steht still
Ein mittlerweile typischer Promi-Schachzug einer Person, deren Reichtum großteils darauf beruht künstliche Schönheitsideale zu reproduzieren. Womit sie übrigens genau jene Perfektionskrankheiten vorantreibt, die sie kritisiert. Sie missbraucht also die totale Gegenaussage (= Du bist schön, wie du bist!) zu ihrer ureigensten Markenbotschaft (= Du musst schön sein und was dafür tun!), um ihre letztendlich monetäre Reichweite zu vergrößern. Ganz ähnlich wie die Tricks des Rechtspopulisten H.C. Strache, der sein Image durch die Aneignung der Symboliken sozialisitscher Revolutionen aufpoliert. Etwa als er vor einiger Zeit unter dem Alias straCHE mit Baskenmütze und blauem Stern für seine neoliberale und zutiefst menschenfeindliche Partei kampagnisierte. Oder aber mit der Ausrufung der „Oktoberrevolution“ vor den letzten Wien-Wahlen. Ein scheinbar genialer Trick, denn er schlägt mit seiner Absurdität riesige mediale Wellen, bewirkt bei vielen Gegner*innen sprachlose Verblüffung und schafft es, eine nicht unbedeutende Anzahl bislang Unbegeisterter ins eigene Lager zu ziehen.

Auf so einen PR-Schmäh ist immer Verlass: Der halbe Medienkosmos dreht sich im Kreis und vollzieht orgasmische Lob-Saltos ob der Tapferkeit ihrer ruhmreichen Held*innen. Sogar „feministische“ Medienportale squirten sich angesichts solcher Kunststücke gegenseitig ins (nunmehr beschämenderweise?) geschminkte Gesicht, weil ja damit Stereotype total arg aufgebrochen würden. Und die allgemeine Leser*innenschaft hechelt sich dazwischen in den Kommentaren alle Neuronen weg. Denn: Ein Superstar hat gesprochen! Die „Prostituierte“ unserer Herzen! Wer erinnert sich nicht glückselig daran: Als sie damals im Lackkostüm, mit ihrer entzückend dargestellten Naivität einer verzweifelten 20-Jährigen und jener notwendigen Abhängigkeit vom Begehren eines doppelt so alten Mannes, zur Neuauflage der modernen Prinzessinnengeschichte verführte? Na eben, wir kennen und lieben sie alle – denn sie ist schon wirklich was Besonderes, unsere Julia.
Wahn und Wirklichkeit
Und während sich all diese Wahnvorstellungen in den Köpfen des Publikums zum hunderttausendsten Mal vollziehen, ist die ungeschminkte Wahrheit eine vollkommen andere: Frau Roberts (bzw. ihr*e Assistent*in) hat ein Foto gepostet, dass sie sehr wohl mit Make-Up zeigt. Ganz abgesehen von den perfekt gestylten Haaren, die durch Clip-Ins fülliger gemacht wurden. Zudem wurde das Foto professionell erstellt: Lichttechnik strategisch eingesetzt, um Hautunreinheiten, Falten & Co zu kaschieren, um den Teint frischer aussehen und die Augen größer wirken zu lassen, Weichzeichnung, ausgewählte Farbnuancierungen sowohl was sie selbst, als auch ihren Schmuck und den Hintergrund des Bildes anbelangt. Und zum Schluss dann die esoterisch anmutende Plastik-Kirsche in Textform oben drauf: Liebe dich selbst! Beziehungsweise (der unausgesprochene Teil dieser Message): Liebe mich, weil ich dir Selbstliebe erlaube, und beweise mir deine Dankbarkeit im Gegenzug, indem du weiterhin meine Produkte kaufst – woohoo! Alles in allem: Eine bis ins letzte Detail inszenierte Komposition aus Fake, Fake und Fake.

Prinzipiell: Nichts spricht per se gegen Make-Up & Co. Und schon gar nichts spricht gegen das relativ selbstverständliche (weil so tiefgreifend antrainierte) Bedürfnis, als „schön“ wahrgenommen werden zu wollen. Doch was bei all diesen Hyper-Heucheleien und Selbst- wie Fremd-Beweihräucherungen unserer Popkultur dramatisch in den Hintergrund gerät, ist: Die fundamentale Lüge derartigen Marketings. Viele scheinen zu übersehen, dass es sich bei diesem Kasperltheater um bloße Werbemaßnahmen eines sogenannten Superstars handelt. Da liest man tausende ernst gemeinte Kommentare von halb-ohnmächtigen Bewundernden (à la „Beautiful soul <3“) unter ihrem Foto und fragt sich, in welchen hormonellen Zustand das Gehirn wohl verfallen kann dass es derart auf seine Funktionen vergisst?
No-Fake-Up!
Deshalb hier eine Erinnerung an uns alle: Diese Mega-Promi-Menschen leben nicht nur schon heute wie König*innen von den Millionen, die sie via Werbeeinnahmen (Julia Roberts beispielsweise für L’Oréal) & Co einnehmen – ganze nachfolgende Generationen ihrer Familie werden noch davon leben können, wenn sie sich nicht allzu ungeschickt anstellen. Währenddessen geben wir unsere letzten Cents auf das neueste Make-Up aus, für das sie wirbt; und freuen uns, wenn wir sie dann endlich wieder auf der Leinwand bewundern dürfen. Genau das ist das Ziel all ihrer öffentlichen Handlungen, die scheinbar brillant – weil nachweislich erfolgreich – sind. Jede ihrer Entscheidung orientiert sich an beinharten wirtschaftlichen Zahlen. Alles ist darauf getrimmt, dass wir zum Kauf angeregt werden. Eine kulturkapitalistische Pornoshow der Luxusklasse – und die Massen verfallen ihr, als säße eine märchenerzählende, idealisierte Mutterfigur an ihrer Bettkante und streichle sie.

Dass diese Superstars mit der einen Hand winken und mit der anderen das Geld zählen, sollte in Zukunft nicht mehr aus dem Blickfeld geraten; andernfalls hängen wir auch weiterhin im Ist-Zustand fest: Hysterisch-depressive Fans (ob offiziell oder nicht), die selbstverblendet jedes Kotzbröckchen in sich aufsaugen, dass die Kommunikationsagent*innen dieser Promis in die virtuelle Gosse werfen. Menschen, die ihr Geld und ihre Energie in die Illusion investieren, diesen Kunstfiguren ähnlicher – also ein bisschen näher – zu sein. Um damit ein bisschen näher an dem dran zu sein, was von Umfeld und Gesellschaft Anerkennung und Liebe erwarten lässt.
The show must NOT go on.
Was und wie und wo innere oder äußere Schönheit erreichbar wäre, wird uns bereits bis zum epileptischen Anfall vorgekaut – uns damit noch weiter emotional auseinander zu setzen, macht krank. Stattdessen sollten wir uns damit abfinden, dass wir alle irgendwie hässlich sind. Und uns selbst im Angesicht eines uns kontinuierlich belügenden Systems aus Verführung und Nachfrage darin stärken, dieser Maschinerie nicht so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Denn all ihre Postulate dienen bloß dem Aufbau und der Erhaltung eines gezielten Kanals in unsere Geldtaschen. Bislang funktioniert dieser Kanal wahnsinnig gut, vor allem weil er sich durch die Geldtaschen in unsere unterversorgten Herzen frisst. Aber um das zu ändern, brauchen wir nicht die Weisheit von Julia Roberts & Co. Denn ihr originärer Auftrag ist (ob bewusst oder unbewusst), dass wir uns so minderwertig und abhängig wie möglich fühlen, damit wir ihre Produkte auch weiterhin kaufen.
von Elisa Ludwig
Zitat von viralwomen.com: “Julia Roberts challenges beauty standards by posting this photo”

Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Politicas.at, November 23, 2015 at 05:00AM

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