Freitag, 17. Juli 2015

Bis unter die Brücke

Zu seiner Aktion vor dem Hotel Adlon in Berlin, wurde nach dem bisherigen Stand und dem gelungenen Auftakt vor dem Adlon von behördlicher Seite die Stühle VERBOTEN!

Bis unter die Brücke

Kein Geld für Essen, Miete und Krankenversicherung: Jobcenter Berlin-Mitte verteidigt Vollsanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher, die Auflagen nicht erfüllen.

Im Jobcenter Berlin Mitte hat man kein Problem damit, Hartz-IV-Bezieher, die sich nicht an amtliche Auflagen halten, »bis auf die Straße« zu sanktionieren. Ab der dritten »Pflichtverletzung« innerhalb eines Jahres würden ihnen die gesamten Leistungen für drei Monate gestrichen, teilte dessen Sprecher Andreas Ebeling auf Anfrage von junge Welt mit. Dazu gehörten neben dem Regelsatz – Alleinstehende erhalten derzeit 399 Euro pro Monat – auch die Kosten für Unterkunft, Kranken- und Pflegeversicherung. Betroffene, die dadurch obdachlos werden, verweise das Jobcenter an die »Stelle für Wohnungsnotfälle des zuständigen Bezirksamtes«. Das sei für die Unterbringung dann zuständig.

Stellt die Behörde die Beitragszahlung für die Krankenversicherung ein, greift laut Ebeling »zunächst die Nachrangversicherung«. Hier nehme die Krankenkasse allerdings den Sanktionierten in die Pflicht, die Kosten selbst zu tragen. Dennoch führe »die Nichtentrichtung der Beiträge nicht zum Wegfall des Schutzes«, betonte der Sprecher. Grund sei die allgemeine Versicherungspflicht. Kosten für Behandlungen würden deshalb nicht fällig. Die Krux: Betroffene häufen bei Nichtzahlung Beitragsschulden bei der Kasse an. »Es erfolgt wie bei allen anderen Mitgliedern ein Mahn- und Einzugsverfahren«, bestätigte AOK-Sprecherin Gabriele Hauser-Allgaier am Freitag.

Die Aussetzung der Beitragszahlungen könnten Betroffene nur vermeiden, indem sie einen Antrag auf »ergänzende Sachleistungen« stellten, meint Ebeling. Das sind »in der Regel Lebensmittelgutscheine«. Würden diese bewilligt, trage das Jobcenter die Versicherung weiter. Einen Rechtsanspruch darauf haben Sanktionierte aber nicht. »Die Gewährung von Sachleistungen ist eine Ermessensentscheidung«, erläutert der Sprecher. Das heißt: Es liegt in der Hand des Sachbearbeiters – in der Regel derselbe, der die Sanktion verhängt hat – ob das Amt Gutscheine ausgibt oder nicht. Deren Höchstwert für Vollsanktionierte beträgt 196 Euro pro Monat, also weniger als die Hälfte der normalen Bezüge. Ferner sind Supermärkte nicht verpflichtet, diese zu akzeptieren. Darüber wurde in der Vergangenheit immer wieder in der Presse berichtet. In Berlin sei das jedoch kein Thema, versichert Ebeling. »Nahezu alle größeren Discounter, Supermärkte und Handelsketten« nähmen diese an. Aber selbst wenn: Brauchen Betroffene die »Essensmarken« nicht bis auf den letzten Cent auf, verfällt der Rest. Denn Bargeld dürfen Geschäfte nicht herausgeben. Auch Obdachlose müssen so Waren auf Vorrat kaufen. Und die Verkäufer sollen den Einkauf sortieren, denn Dinge wie Gebrauchsgegenstände, Tabakwaren und alkoholische Getränke sind nicht erlaubt.

Was kann alles zu einem Wegfall der Leistungen führen? »In der Regel alle im Paragraph 31 des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II) genannten Pflichtverstöße«, führt Ebeling aus. Diese Passage benennt das Nichterfüllen von »Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung oder einem diese ersetzenden Verwaltungsakt«. »Erwerbsfähige« verletzen danach zudem die Regeln, wenn sie »zumutbare Arbeit, Ausbildungen, Arbeitsgelegenheiten oder Maßnahmen ablehnen, nicht antreten, abbrechen oder Anlass für deren Abbruch geben«. Auch eine »festgestellte absichtliche Minderung von Einkommen oder Vermögen« gilt als Strafgrund. Der Sanktionszeitraum betrage »grundsätzlich drei Monate«, so Ebeling.

Hintergrund der Anfrage war die aktuelle öffentliche Aktion »Hungern nach Würde« des Hartz-IV-Aktivsten Ralph Boes (jW berichtete). Seit 1. Juli nimmt der seit über zwei Jahren vom Jobcenter Berlin-Mitte vollsanktionierte 58jährige keine Nahrung mehr zu sich. Jeden Abend sitzt er vor dem Berliner Luxushotel Adlon am Brandenburger Tor, um auf die Situation Betroffener aufmerksam zu machen. Er wolle nicht länger von Spenden und Darlehen überleben, denn dies könnten andere auch nicht, sagte er gegenüber jW. Boes’ jüngste »Straftat« war, dass er die monatlich geforderten zehn Bewerbungen nicht nachgewiesen hatte. Über den Fall Boes wollte Ebeling unter Berufung auf Datenschutz nicht sprechen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie die Bundesagentur für Arbeit äußerten sich gar nicht zum Thema. Sie hatten die Anfrage an das Jobcenter Berlin-Mitte weitergeleitet.

Quelle: via @Lutz Große, July 17, 2015 at 10:52PM


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