Montag, 20. Juli 2015

Dekonstruktion der Kinder- und Jugendhilfe in Bremen

Schleichende Dekonstruktion der Kinder- und Jugendhilfe
Die ab 2007 in Bremen regierende SPD/Grüne Koalition betreibt, ideologisch auf angeblich alternativlose Austeritätspolitik setzend, in ihrer 3. Legislaturperiode weiter die Dekonstruktion der Kinder- und Jugendhilfe, die (rechtswidrig) nur noch unter Kostengesichtspunkten bewertet wird.

Große Zuständigkeitsbereiche wurden (von den Grünen) und werden (von der SPD) in andere Ressorts verlagert. Diesmal wird auf Betreiben der SPD gleich der ganze Bereich Kinder" (KiTas) dem Ressort Bildung zugeschlagen (einmalig in Deutschland). Angeblich hätten sich "Schule" und "Kinder" vorher jahrzehntelang unnötige Konkurrenz gemacht und der Bildungsaspekt (2-Jährige als künftiges Humankapital ?) in den Krippen und Kitas müsse gestärkt werden. Das seit 2011 grüne Bremer Sozialressort verliert seine "Tagesstätten-Kinder" und bekommt bei dem Deal ab 2015 "Sport und Integration" (vorher bei "Inneres"). Verwaltungshandlungen und Steuerungshoheiten können gravierende Auswirkungen auf Ausrichtung, Qualität und Fachlichkeit haben.

Die Koalitionäre haben sodann gleich ab Sommer 2015 die Zahl der in einer Krippe zu betreuenden Krippenkinder ( also die bis 3-Jährigen) von 8 auf 10 erhöht. Eltern und ihre Kleinkinder, sowie die Erzieher*innen, werden sich ob dieser Qualitätsabsenkung und Arbeitsverdichtung "bedanken". Ein Vorgeschmack auf das "neue" Verständnis von "Bildung" für unter 6-jährige kleine Menschen? Die mit wochenlangen Streiks geforderte Aufwertung/Höhergruppierung der Erziehungsdienste wurde seitens VKA (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber) brüsk zurückgewiesen.

Das von der höchsten (und weiter ansteigenden) Kinderarmutsquote (1) und der höchsten Sorgerechtsentzugsquote in Deutschland (2) gekennzeichnete Land Bremen (und Saarland) entpuppt sich immer mehr als Labor für künftige neoliberale Umsteuerungen.

2 Häufigkeit von Sorgerrechtsentzügen pro 100.000 der unter 18-Jährigen

Die freien und kirchlichen Träger in der Landesarbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtspflege haben in einem dringlichenApell vom 24.6.2015  vor der Zerschlagung der Einheit der Kinder- und Jugendhilfe gewarnt. Der Weserkurier berichtet.
http://www.sozialag.de/../..jugendhilfe | http://www.weser-kurier.de/..Kritik-an-Behoerdenumbau

Frau Senatorin Stahmann, die sich gerade in einem Brief an die freien Träger gegen die SPD als vermeintliche Verteidigerin der Einheit der Kinder- und Jugendhilfe zu profilieren versucht, hat selbst seit Übernahme des Ressorts 2011 die Abschaffung der fachlichen Unabhängigkeit des Jugendamtes betrieben, mithilfe der Abänderung des §1 des Bremischen Ausführungsgesetzes des KJHG. Am 18.3.2015 wurde in 1. u. 2. Lesung die Jugendamts-Zuständigkeit mit den Stimmen aller SPD/Grünen Abgeordneten (Gegenstimmen LINKE und ein paar aus dem konservativen Spektrum) vom AFSD (Amt für Soziale Dienste) an die budgetgetriebenen politischen Instanzen (Sozialsenatorin) übertragen, denen die fachlichen Widerstände im Jugendamt schon immer ein Dorn im Auge waren.

Nicht nur unser Bündnis, sondern viele Fachleute und Wissenschaftler*innen haben sich seit Jahren für die im Gesetz mit gutem Grund vorgesehene Beibehaltung der Eigenständigkeit der Jugendamtes ausgesprochen (auf unserer WEB-Seite zum Download http://bremerbuendnissozialearbeit../Stellungnahme

Darin heißt es:
"Mit der Aufgabe der Eigenständigkeit des Amtes für Soziale Dienste geht unseres Erachtens ein Verlust an Fachlichkeit einher. Wurden in der Senatorischen Behörde primär politisch intendierte Entscheidungen getroffen, so war es ... oft das Amt mit seiner betont fachlich ausgerichteten Sichtweise, welches ein notwendiges Korrektiv zur Politik darstellte. Dies wird es in dieser Form dann zukünftig nicht mehr geben; Politik eröffnet sich den unmittelbaren Zugriff auf das Amt. Insbesondere befürchtet das Bremer Bündnis Soziale Arbeit, dass durch den unmittelbaren Zugriff des Senats auf das Amt für Soziale Dienste mittelfristig weiteren Einsparungen, die nach unserer Einschätzung fachlich nicht mehr zu vertreten sind, Tür und Tor geöffnet werden." 

Die Folgen werden wir und die Adressaten Sozialer Arbeit in den kommenden Jahren noch deutlich zu spüren bekommen.

Am 09.04.2015 (kurz vor der Wahl) ging, wieder auf Initiaive der Grünen, die "Filettiererei" in der Sozialdeputation gleich weiter. Die sachliche Zuständigkeit für den Teilbereich der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung (§35a KJHG Schulassistenzen, ) soll nun aus der Gesamtzuständigkeit der Senatsverwaltung für Soziales, die für die Eingliederungshilfe bzw. die Jugendhilfe zuständig ist, herausgelöst und der Schulverwaltung zugewiesen werden. Die Schulassistenz bliebe damit zwar der Sache nach Eingliederungshilfe nach § 53 ff SGB XII bzw. Jugendhilfe nach § 35a SGB VIII, würde aber für die Stadtgemeinde Bremen (nicht Brhv.) von der Senatsverwaltung für Bildung wahrgenommen. - Begründet wird das nach außen damit, dass alle schulbezogenen Leistungen "aus einer Hand " gewährt werden sollen. Faktisch ist aber wohl damit zu rechnen, dass die Schulassistenz kaum mehr als Einzelfallhilfe gewährt wird. Viele davon betroffene Eltern, Kinder und Jugendhilfeeinrichtungen können ein Lied davon singen, wie restriktiv Austeritätspolitiker*innen in Bremen ohnehin schon mit Anträgen auf Bewilligung einer Schulassistenz umgehen. Die Inklusion wird propagandistisch über alle Maßen hochgelobt und gleichzeitig werden eigentlich notwendige personelle Aufstockungen und Weiterbildungen in den Schulen aus Haushaltsgründen vermieden und viele Anträge auf Schulassistenz (rechtlich nicht haltbar) abgelehnt. Sie könnten mit anwaltlicher Hilfe angefochten werden, aber welche Adressaten können schon so weit gehen und sind in der Lage, die notwendigen Gutachten in Auftrag zu geben und das Geld für all diese Vorgänge vorzuhalten?
Die Steuerung für die Aufgaben gemäß  § 13 KJHG /SGB VIII (Jugendberufshilfe) wurde von SPD und Grünen einvernehmlich, hochgelobt von CDU und FDP, mit der Einführung der JUgendberufsagenturen im Mai 2015 durch die Hintertür faktisch an das Bildungsressort und die Geschäftsführung der Jobcenter, bzw. Agentur für Arbeit abgetreten. Durch angebliche "Synergieeffekte" (Abbau von angeblichen "Doppelstrukturen") sollen so bis 2020 über 3 Mio. eingespart werden. Neue gute Ausbildungsplätze oder gute Berufsvorbereitung sieht das Programm keinesfalls vor, nur eine technokratische Datenkrake (Erfassung aller Schulabgänger*innen)  und ungehinderten Datentransfer vom Bildungsressort an die Jobcenter, 5 Jahre lang,  über alle Lebensentwicklungen nach Schulende; Erhöhung des Vermittlungsdrucks mittels "Kontaktaufnahme" (telefonisch/schriftlich), "Hausbesuchen", "Fallkonferenzen" und die (verfassungsmäßig zweifelhaften) verschärften Sanktionen gegen die unter 25-Jährigen, besonders gegen die vorher ausgemachten Sonderjugendlichen, euphemistisch als "Betreuungskunden" im Jargon der BFA geführt.
http://bremerbuendnissozialearbeit../sanktionen

Das bremische Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz (BremAGKJHG) von 1991 wird seit 23 Jahren rechtswidrig missachtet, wie am Umgang mit dessen § 5 zu beobachten. Auch in der aktuellen Koalitionsvereinbarung taucht der geforderte Jugendhilfebericht (pro Legislaturperiode) nicht auf. Die Beauftragung einer unabhängigen Expertenkomission kostet und es könnten ja als Ergebnis dieser vorgeschriebenen kleinräumigen und landesweiten Jugendhilfeplanung (§80 SGB VIII) Kinder- und Jugendbedarfe angemeldet werden, die dann kostenwirksam haushälterisch bedient werden müssten, z.B. die auskömmliche Refinanzierung der offenen Jugendarbeit und ihrer Jugendhäuser (siehe staatliche Gewährleistungspflicht nach §79 SGBVIII). Da waren sich die Großkoalitionäre aus SPD/CDU 1995-2007 und die nachfolgenden drei SPD/Grünen Koalitionen bezeichnenderweise einig in der Nichtumsetzung der Jugendhilfeplanung. 
Wortlaut des § 5 (BremAGKJHG):
"Bericht über die Lage der Kinder, Jugendlichen und Familien im Lande Bremen
(1) Der Senat legt der Bürgerschaft (Landtag) in der Mitte jeder Wahlperiode einen Bericht über die Lage der Kinder, Jugendlichen und Familien im Lande Bremen vor. Dieser soll eine Darstellung der wichtigsten Entwicklungstendenzen in der Jugendhilfe im Lande Bremen und eine Übersicht über die Förderungsangebote und Hilfeleistungen für Kinder, Jugendliche und Familien im Berichtszeitraum enthalten. Neben der Bestandsaufnahme und Analyse soll der Bericht Vorschläge zur Weiterentwicklung der Jugendhilfe enthalten. Der Senat kann den Bericht auf einzelne Aufgabenbereiche oder bestimmte Arbeitsfelder der Jugendhilfe ausrichten.
(2) Das Thema des Berichtes soll zu Beginn der Legislaturperiode durch den Landesjugendhilfeausschuß vorgeschlagen werden. Zu dem fertiggestellten Bericht gibt der Landesjugendhilfeausschuß eine Stellungnahme ab, die der Bürgerschaft (Landtag) zugeleitet wird.

(3) Der Senat kann zur Vorbereitung des Berichtes Gutachten und Expertisen einholen.
Und trotz weitreichender Kritik sind die vom Bremer Bürgermeister angeregten "Umverteilungspläne" von minderjährigen Geflohenen ohne Eltern bundesweit so weit vorangeschritten, dass im Juni 2015 der nächste (als bessere Versorgung getarnte) Angriff auf das KJHG erfolgte, nämlich dieser Entwurf zur entprechenden Abänderung des Sozialgesetzbuches VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz). Der Bundesverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. hat eine kritische Stellungnahme zu dem Entwurf geschrieben.     

Umverteilung ja, aber finanzielle Umverteilung


Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Einmischen.info, July 20, 2015 at 01:55PM

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