Freitag, 7. August 2015

Kanton Bern klärt dreimal so teuer ab wie Basel

In Basel kostet eine Abklärung für die individuelle Finanzierung im Behindertenbereich 280 bis 380 Franken. In Bern wird sie voraussichtlich 900 Franken kosten.

Menschen mit einer Behinderung sollen selber bestimmen können, wie sie leben und arbeiten wollen: ob in einem Heim, einer Wohngruppe oder allein mit externer Betreuung. Dieses Anliegen verfolgen die Kantone mit Behindertenkonzepten, die vor allem die Art der Finanzierung in diesem Bereich ändern: Nicht mehr die Institutionen, sondern die Behinderten erhalten je nach Bedarf finanzielle Unterstützung.

Seit 2013 klären die meisten Deutschschweizer Kantone diesen Bedarf mit dem Informatiksystem IBB (Individueller Betreuungsbedarf) ab. Somit gibt es in der Deutschschweiz ein vergleichbares Finanzierungssystem, das ein Benchmarking unter den Kantonen ermöglicht. Kostentreiber könnten so erkannt werden. In Baselland und Basel-Stadt hat man dieses System ergänzt und rechnet pro Abklärung mit 280 bis 380 Franken.

Bern fährt auf Sondergleis
Der Kanton Bern allerdings – finanziell alles andere als auf Rosen gebettet – verfolgt als einziger eine massiv teurere Variante: Mit dem neu entwickelten System Vibel (Verfahren und Instrument zur individuellen Bedarfsermittlung) wird die Abklärung, die der Kanton vollumfänglich trägt, voraussichtlich 900 Franken kosten. Dies sind die Schätzungen, nachdem über siebenhundert Testpersonen in Bern mit Vibel abgeklärt wurden (siehe Kasten).

Dass Vibel teuer würde, war schon 2013 absehbar. Damals stiegen die Kantone Baselland und Basel-Stadt aus der Entwicklung von Vibel aus – weil sie die Kosten fürchteten und ahnten, dass der Aufwand pro Abklärung zu gross werden würde (wir berichteten). Diesen Schritt habe man nicht bereut, sagt Antonios Haniotis, Leiter des Stadtbasler Amtes für Sozialbeiträge.

Das System IBB erfülle das Kriterium der Wahlfreiheit nicht, begründet Bern sein Festhalten an Vibel – worüber man in den anderen Kantonen nur den Kopf schüttelt und beteuert, auch bei ihnen werde die Wahlfreiheit gewährleistet.

«Nur bedingt vergleichbar»
Im Vergleich zur Lösung der beiden Basel gehe Vibel viel weiter, erklärt Claus Detreköy von der Gesundheits- und Fürsorgedirektion die massiv höheren Kosten. Während in Basel mit gröberen Kategorien gearbeitet werde, kläre Vibel den Bedarf differenziert ab. Ausserdem berücksichtige das System Bedarfsschwankungen, Veränderungspotenziale, spezifische Krankheitsbilder sowie die Qualifikation des Betreuungspersonals. All diese Abklärungen erfolgen vor Ort. Die beiden Systeme liessen sich deshalb nur bedingt miteinander vergleichen.

«Vibel ist nicht günstig. Aber die betroffene Person und der Kanton erhalten dafür eine massgeschneiderte Kostengutsprache, die den Bedarf in Stunden und Franken abbildet», sagt Detreköy. Zudem erfolge die Umstellung für den Kanton kostenneutral und erlaube eine bedarfsgerechte Steuerung der Finanzen.

Noch nicht ausgereift
So ganz sitzt diese massgeschneiderte Kostengutsprache nach siebenhundert Testpersonen aber noch nicht: Vibel kommt laut Detreköy dem effektiven Bedarf von Menschen mit Behinderung zwar recht nahe, aber bei psychisch behinderten Personen gelinge das noch nicht befriedigend. Hier brauche es spezifischere Kategorien. Eine weitere Schwachstelle liegt im Bereich der geschützten Werkstätten. Auch hier müsse der Fragebogen ergänzt sowie geprüft werden, ob ein Subjektbeitrag zumindest teilweise nicht nur an die behinderte Person, sondern auch an die Werkstatt fliessen sollte. «Einzelne Menschen könnten den Eindruck bekommen, dass sie dafür bezahlen müssen, arbeiten zu gehen – und nicht erkennen, dass sie ihre Assistenz finanzieren.»

Die Schwachstellen von Vibel will der Kanton nun beheben. Seit März wird die «Unabhängige Abklärungsstelle individueller Bedarf Kanton Bern» aufgebaut, über die ab Herbst die Abklärungen für ein Pilotprojekt laufen sollen. Dieses startet im Januar mit achtzig Teilnehmenden. Daran beteiligt sind die «Vereinigung Alchemilla» aus Oberhofen und die «Wohn- und Arbeitsintegration Westwind» aus Uetendorf sowie zehn Personen mit einer Behinderung, die zurzeit kein institutionelles Angebot in Anspruch nehmen [...]

Weg mit #agenda2010 und #behoerdenwillkuer

Quelle: via @Selbstbestimmung.ch, August 07, 2015 at 11:16AM

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