Mittwoch, 15. August 2018

(BGE) Grundeinkommen – «Nicht Geld, sondern Macht umverteilen»

Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Und spätestens seit der ­Finanzkrise wird die Zukunft des Kapitalismus zunehmend hinterfragt. Es wird über eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nachgedacht. Eine davon heisst: ­bedingungsloses Grundeinkommen.

VADUZ.«Wir sollten uns nicht um die Roboter sorgen machen, sondern vielmehr um den Kapitalismus.» Dieses Zitat stammt vom verstorbenen Wissenschaftler Stephen Hawking, der voraussagte, dass das ökonomische Ungleichgewicht schlag­artig steigen wird, «da immer mehr Jobs automatisiert werden und die reichen Besitzer der Maschinen ihren schnell wachsenden Reichtum nicht teilen wollen.» So sei es an der Zeit, sich ernsthaft mit Alternativen zum Kapitalismus auseinanderzusetzen. Nicht nur Hawking war überzeugt, dass eine neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nottut. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass eine Alternative mit Namen «Bedingungsloses Grundeinkommen» immer mehr Anhänger findet. Die Idee: Alle Menschen haben einen individuellen Rechtsanspruch auf das Grundeinkommen. Unabhängig davon, ob sie allein oder mit anderen leben, ob sie verheiratet sind oder nicht. Unabhängig von Einkommen und Vermögen und unabhängig davon, ob man bereit ist, für Geld zu arbeiten. Die Höhe des Grundeinkommens sichert die Exis­tenz und ermöglicht die Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben. Das Wichtigste: Niemand muss Angst vor Armut haben.

Auch wenn die Diskussion darum in der Schweiz und Liechtenstein relativ neu zu sein scheint, die Idee ist es nicht. Bereits in den USA gab es vor Jahrzehnten mehrere lokale Experimente mit Grundsicherungen, aktuell sind zwei weitere Versuche in Kalifornien in Planung. Auch in Kenia haben 21 000 Menschen an einem der wohl grössten Feldversuche teilgenommen: Erste Erkenntnisse zeigten positive Effekte auf Beschäftigung, Kriminalitätsrate und Gesundheit. Weitere Versuche finden derzeit in den Niederlanden, Deutschland, Finnland und der Schweiz statt. Und in Liechtenstein arbeitet derzeit eine Arbeitsgruppe an einem Konzept zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE).

Problem: Unterschiedliche Menschenbilder

Einst selbst Kritiker und Gegner des BGE, kämpft Markus Härtl von der BGE Rheintal heute für eine Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Oder zumindest dafür, dass das alternative Wirtschaftsmodell in der Region bekannt, verstanden und diskutiert wird. «Man kann nicht von heute auf morgen davon überzeugt sein», weiss er aus eigener Erfahrung. Und hat sich dementsprechend intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt. In einem rund zweistündigen Gespräch zeigt er die positiven Effekte, die mit einem BGE erzielt werden könnten. Es sichert das Menschenrecht auf Leben und soziale Sicherheit. Es erweitert den Freiraum für eigene Entscheidungen. Es unterstützt freiwillige und selbstständige Arbeiten im Sozialen, in Politik, Kunst und Kultur. Heute unbezahlte Arbeit wie Hausarbeit, Betreuung oder ehrenamtliche Tätigkeit wäre durch Bezahlung aufgewertet. Es ermöglicht eine gerechte Verteilung gesellschaftlichen Reichtums, verhindert materielle Armut und ihre Folgen, fördert die Wirtschaft, stabilisiert die Kaufkraft, vereinfacht die Verwaltung – und so weiter und so fort. «Es würde so viele Probleme auf einmal lösen», ist Härtl überzeugt.

Auch auf die vielgehörten Fragen, wer dann noch arbeitet, ob dann nicht alle Ausländer kommen und wer das bezahlen soll, hat Härtl Antworten parat. Augenfällig sei, dass die Menschen selber offenbar komplett unterschiedliche Menschenbilder hätten. Während die einen davon ausgingen, dass der Mensch grundsätzlich motiviert und arbeitswillig sei, gingen andere davon aus, dass Menschen einen Anreiz benötigen würden, um Leistungen zu erbringen. Härtl ist überzeugt: In einer neu gestalteten Arbeitswelt werden viele gerne arbeiten, noch dazu, wenn die Tätigkeit den eigenen Interessen, Fähigkeit und Qualifikationen entspricht und das Grundeinkommen damit finanziell aufgestockt werden kann. Menschen, die aufgrund fehlender Wertschätzung und unwürdiger Bedingungen unattraktive Arbeiten verrichten müssen, müsste endlich mehr Anerkennung entgegengebracht und diese besser bezahlt werden. Was den Zuzug von Ausländern betrifft: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen seien Löhne und Sozialleistungen geringer als heute. Das macht die Schweiz und Liechtenstein für Ausländer weniger attraktiv. Mit der Bewilligung eines bedingungslosen Grundeinkommens habe der Staat mehr Möglichkeiten zur Steuerung des Zuzugs und des Aufenthalts, ist Härtl überzeugt. Und was die Finanzierung betreffe, so sei das BGE keine Frage des zusätzlichen Geldes, sondern der Umwandlung des heute bedingten Grundeinkommensanteils in einen bedingungslosen. Es gehe darum, den Sockel aller Einkommen bedingungslos zu machen. «Nicht Geld wird umverteilt, sondern Macht.»

Denkhürden überwinden

Wenn auch viele Menschen die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens nach wie vor als Spinnerei abtun – «es muss wenigstens darüber diskutiert ­werden», so Markus Härtls wichtigste Botschaft. Dies vor allem und immer mit dem Hintergrund, dass in rund 10 Jahren 50 Prozent aller Arbeitsplätze durch ­Roboter besetzt werden. «Maschinen machen menschliche Arbeitskräfte überflüssig. Warum also nicht weniger ­arbeiten statt mehr?», ist nur eine der zahlreichen Fragen, die sich künftig ­stellen wird. Dabei gehe es auch nicht ­darum, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern vielmehr darum, ihn zu ­«zügeln». Auf den Punkt bringt dies auch Stephen Hawking, wenn er sagt: «Wenn Maschinen all das herstellen, was wir brauchen, wird das Ergebnis davon ­abhängen, wie diese Dinge verteilt sind.» Will heissen: Jeder kann ein Leben voll luxuriösen Müssiggangs führen, wenn der von den Maschinen produzierte Wohlstand geteilt wird. Dies kann nur ­gelingen, wenn die Besitzer eben dieser Maschinen nicht gegen eine Verteilung des Wohlstands vorgehen. Und wenn die bestehenden Denkhürden überwunden werden können. (dv)

Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Markus Härtl, 14.08.2018

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