In Gesprächen über Politik werden neuerdings immer öfter jene Fragen zitiert, die die Nachkriegsgenerationen spätestens seit den 68ern der Kriegsgeneration gestellt hat: „Was habt Ihr dagegen getan?“, „Warum habt Ihr keinen Widerstand geleistet?“ oder „Wieso habt Ihr bei dem faschistischen Wahnsinn einfach mitgetan?“
Ungezählt die Gespräche, die damals immer wieder nach dem gleichen Muster verliefen: Die Jungen konnten es einfach nicht fassen, dass die Alten sehenden Auges in das Verderben des Krieges gegangen waren. Groß war oft der Unmut, wenn dann noch Parteimitgliedschaften oder gar aktive Beteiligung der „Tätergeneration“ ruchbar wurde.
Für die damals Jungen war das alles einfach nur unfassbar. Wie konnte es so weit kommen? Warum hat niemand etwas rechtzeitig unternommen? Warum waren Menschen dem Faschismus gegenüber zumindest scheinbar so passiv-gleichgültig?
Wir waren uns sicher, dass sich Geschichte nicht mehr wiederholt
In den letzten Wochen beschleicht mich ein merkwürdiges Bild. Ich sehe die ganz Alten vor mir, jene, die eventuell sogar zwei Weltkriege miterleben mussten, zumindest aber die Zwischenkriegszeit und den Zweiten Weltkrieg. Ich sehe sie vor mir sitzen. Betroffen über die seinerzeitigen Anwürfe der Jungen. Mit leicht bitter-ironischem Lächeln scheinen sie ihre Arme zu verschränken, während sie sich zurücklehnen und zu uns sagen: „Nun? Da habt Ihr eurer Schlamassel! Jetzt zeigt mal, was Ihr besser macht als wir damals!“
Und es geht mir nicht gut bei dem Gedanken, wie sicher wir uns doch waren, dass wir sicher nie so naiv sein würden und der schrittweisen Zurücknahme von Demokratie und Freiheit einfach nur zusehen würden. Wie sicher wir uns doch waren, dass sich die Geschichte niemals wiederholen würde.
Doch wir tragen Verantwortung: Die Geschichte hat uns – viel eindringlicher, als es unseren Vorfahren widerfahren war – gelehrt, in welche Katastrophe fahrlässige oder gar gezielte Spaltung, blinde Hetze und wütende Feindbildkultur führen. Wir können nicht sagen, dass wir es nicht wüssten, denn wir haben es nur allzu oft erzählt bekommen.
Schnell waren wir bei der Verurteilung der Vorfahren, statt über unsere eigene Verantwortung nachzudenken. „Also nein! Uns? Uns könnte solcher Wahnsinn wie damals nie passieren“, sagten wir.
Das Ende des Humanismus
Wie steht es um den Unterschied zwischen ertrinken lassen und erschießen? Was ist mit der Zerstörung sozialen Zusammenhalts und Aufkündigung von Sicherheit? Das Verächtlichmachen einzelner Menschengruppen nach rassistischen Mustern oder das Lächerlichmachen von Armut? Was ist mit der Zerstörung solidarischer Werte zugunsten platter Feindbilder?
Und eine Opposition? Wo ist sie? Hat wohl Probleme – sowohl bei der Findung der Position als auch bei der Frage nach dem Wogegen. Wo bleiben die Ideale einer aufgeklärten, humanistisch geprägten Kultur Europas? Ist alles schon nicht mehr wahr? Sind wir endgültig kulturlos?
„Nie wieder“ war wohl zu selbstgefällig.
Weg mit der #Agenda2010
Quelle: via @Bernhard Jenny, 9.8.2018
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