Während der letzten Jahre habe ich immer wieder darüber geschrieben, warum man Menschen mit psychischen Krankheiten nicht mit Mülleimern vergleichen, Menschen mit Körperbehinderungen nicht als Schaufensterpuppen, Depressive nicht als Zombies und «Behinderte» ganz generell nicht ständig als Kinder (mit Trisomie 21) darstellen sollte.
Bei den aufgezählten Beispielen handelte es sich um «professionelle» Kommunikation(skampagnen) von Organisationen der sogenannten Behindertenhilfe. Die Organisationen waren über meine Artikel jeweils not amused, denn die «Fachleute» und die «preisgekrönten Werber» wissen schliesslich, was sie tun. Auf meine Kritik hat man – falls überhaupt – arrogant und herablassend (Gell, Pro Infirmis) reagiert.
Aber über die Kritik nachdenken? Nope. Warum auch. Herzige Kinder oder sonstwie bemitleidenswerte Kreaturen sind halt einfach gut für’s Retter-Image der Organisationen und infolgedessen auch für deren Spendeneinnahmen. Menschen mit Behinderung als selbstbestimmte, kompetente Erwachsene abbilden? Äh, wie meinen…?
Selbst das eidgenössische Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderung (EBGB) hat 2014 die gesamten Werbematerialien seines Schwerpunktprogramms zum Thema «Partizipation» (Motto «Wir haben auch ein Wort mitzureden!») ausschliesslich mit Fotos von Kindern und Jugendlichen bebildert. Ich schrieb dazu:
Man stelle sich mal vor, auf dem Tagungsprogramm, den Postern und Postkarten wären auch Abbildungen von Menschen mit Behinderung jenseits des Jugendalters zu sehen, Erwachsene in individueller Kleidung statt im einheitlichen Jugendlager-Shirt! Womöglich auch welche im Businesskostüm oder Anzug! Und die wollen mitreden? Und vielleicht sogar mehr nur «ein Wort», wie es das Motto vorgibt?
Scary.
Anfang 2017 hat das EBGB ein neues Schwerpunktthema lanciert. Es heisst «Gleichstellung und Arbeit». Der ebenfalls anfangs 2017 erschienene Bericht zur Entwicklung der Behindertenpolitik des EDI legt den Schwerpunkt auch auf die Arbeitsthematik:
Bei der inhaltlichen Vertiefung steht in einer ersten Phase die Förderung der Gleichstellung im Bereich der Arbeit im Vordergrund. Bei diesem Thema besteht nach übereinstimmender Einschätzung der grösste Handlungsbedarf; zugleich bietet die Abstimmung mit der Weiterentwicklung der Invalidenversicherung und der für 2017 vorgesehenen Konferenz zur Förderung der Arbeitsmarktintegration von Menschen mit Behinderungen einen optimalen Rahmen zu einer umfassenden Förderung der Gleichstellung in der Arbeit.
Und nicht nur, aber natürlich auch deshalb, sollten – so der Bericht – Kommunikationsstrategien verstärkt auf Kompetenzorientierung ausgerichtet werden:
Kommunikationsaktivitäten, welche behindertenpolitische Anliegen vermitteln, sollen vermehrt dazu benutzt werden, eine positive Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen zu fördern. (…) Weiter soll auch in geplanten Kommunikationsmassnahmen des Bundes darauf geachtet werden, dass defizitorientierte Bilder vermieden werden. Die Wirkung kann verstärkt werden, wenn auch die Behindertenorganisationen in ihren über den Bund finanzierten Informations- und Sensibilisierungskampagnen ebenfalls darauf bedacht sind, ein kompetenzorientiertes Bild von Menschen mit Behinderungen zu vermitteln.
Darüber dass Kompentenzorientierung für eine bessere berufliche Integration von Menschen mit Behinderung fundamental wichtig ist habe ich immer und immer wieder geschrieben. Und zwar bereits 2012:
Ich habe ein klitzekleines Problem mit der aktuellen Arbeitgeber-Umgarnungsaktion der Invalidenversicherung. «Behinderte bzw. IV-Bezüger einstellen» klingt in meinen Ohren nämlich immer irgendwie wie: «Wir haben jetzt einen Hund (oder ein paar Zimmerpflanzen) in unserer Firma, das ist gut für Betriebsklima».
(…) Aber eine Behinderung alleine ist keine Qualifikation. Trotzdem zielen die ganzen Arbeitgeber-Umgarnungsaktionen der IV aber genau auf diese Zimmerpflanzen-Analogie ab. Ganz nach dem Motto: Gibt es nicht irgendeine kleine Nische, wo ihr die Zimmerpflanze reinstellen könnt?
Und:
Wäre dieses ganze Affentheater um die Eingliederungen ernst gemeint, würde man die einzugliedernden IV-Bezüger als zukünftige Arbeitnehmer behandeln und nicht wie die letzten Deppen. Denn Arbeitgeber suchen keine «Behinderten», sie suchen qualifizierte, zuverlässige Mitarbeiter. Eine Einstellung muss sich für sie lohnen. Es schafft auch niemand extra Arbeitsplätze einfach so, «weil er sich ein bisschen sozial fühlt». In einem Unternehmen fällt ein gewisses Volumen an Arbeit an und dafür werden Mitarbeitende gesucht, die diese Arbeit gut ausführen können. Alles andere ist Sozialromantik.
Nach all den Zimmerpflanzen, Mülleimern, Zombies und Kinderbilder der letzten Jahre kommt man nun also im EDI zum Schluss, dass «(…) auch Behindertenorganisationen in ihren über den Bund finanzierten Informations- und Sensibilisierungskampagnen darauf bedacht sein sollten, ein kompetenzorientiertes Bild von Menschen mit Behinderungen zu vermitteln».
Die Fachleute bei den Organisationen werden sich (zusammen mit den preisgekrönten Werbern) dazu bestimmt was hübsches einfallen lassen. Vielleicht eine Inszenierung von Kindern mit Trisomie 21 als Ärzte in einer TV-Serie namens «Euses Spital». So als gehaltvoller Diskussionsbeitrag zum Fachkäftemangel.
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Weiterführend:
- Behindert sein ist keine Qualifikation (2012)
- Die Gefühlswelt eines Mülleimers (2013)
- Behindertenorganisationen sollten für Behinderte da sein. Nicht umgekehrt. (2014)
- Ein depressiver Zombie soll für Pro Infirmis die Marke stärken und die Kasse klingeln lassen (2014)
- «Jöh, Behinderte!» (2015)
- Liebe Pro Infirmis, wir müssen über Eure Darstellung von Menschen mit Behinderung reden. (2015)
- Unterschiedliche Bilder junger IV-BezügerInnen (2016)
- Das Dilemma bei der Darstellung und Offenlegung psychischer Krankheit (2016)
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What is the meaning of the phrase «late to the party»?
If you are «late to the party» it means that you have only recently learned of something that others already have known for some time.
Weg mit der #behoerdenwillkuer und dem #ivdebakel
Quelle: via @ IVInfo, June 08, 2017 at 02:23PM
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