Über den Unterschied zwischen Erwerbsarbeit und wichtiger Arbeit oder über Tätigkeiten, die heute keinen Wert zu haben scheinen
Ein Aufklärungsversuch zur aktuellen Debatte über Hartz IV, Grundeinkommen, neue Regelinstrumente zur Arbeitsbeschaffung und das Dasein „in Arbeit“.
Seit Hartz IV nicht mehr Armut bedeuten soll, Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hoffnungsfroh von neuen „Regelinstrumenten“ schwärmt, welche im aktuellen Koalitionsvertrag stehen, um Menschen „in Arbeit“ zu bringen und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) von einem „Grundeinkommen“ als Alternative spricht, herrscht einiges an Durcheinander, was die neuen Ideen und Konzepte für eine zukunftsfähige Grundsicherung angeht.
Ebenfalls verhandelt wird in diesem Zuge über einen sozialen Arbeitsmarkt, Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber und gemeinnützige Tätigkeiten zu Mindestlöhnen. All dies solle sich aber definitiv von bisherigen ABMs (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) und 1-Euro-Jobs unterscheiden, welchen vorgeworfen werden konnte, reguläre Beschäftigungsverhältnisse verdrängt zu haben.
Ebenfalls unklar ist, wie sich der Zustand „in Arbeit“ zu sein eigentlich definieren lässt, in den – einem breiten politischen Konsens nach – alle Beschäftigungsfähigen dringend integriert werden sollen. Ist eine Alleinerziehende mit Teilzeitjob eigentlich „in Arbeit“? Und wenn ja, warum bezieht sie dann immer noch aufstockend Hartz IV? Was ist mit Vollzeittätigen, die nicht genug verdienen, um ihr Leben bestreiten zu können und ebenfalls zusätzliche Sozialleistungen beantragen müssen? Ist eine Hausfrau und Mutter eigentlich überhaupt nicht „in Arbeit“?
Vieles gilt es hier offenbar aufzuklären.
Wann bin ich „in Arbeit“?
Es gibt Redewendungen, die können den gesunden Menschenverstand schon etwas verwirren. So machen manche Menschen zum Beispiel „in Autos“, „in Holz“, oder wo auch immer hinein, um kurzzufassen, in welcher Branche sie tätig sind. Eine Renaissance erfährt offenbar die Redewendung generell „IN Arbeit“ zu sein, im Gegensatz dazu, einfach Arbeit „zu haben“. Man hat sie nicht mehr oder hat sie nicht, sondern man IST in ihr, quasi in einem Arbeitsdasein, einem speziellen Zustand, der offenbar die einzig legitime Lebensform unserer Gesellschaft ausmacht. So weiß auch Hubertus Heil davon zu berichten, dass die meisten Menschen „in Arbeit“ wollen und es deshalb gelte, diese Menschen – auch wenn sie schon lange arbeitslos gemeldet sind – nicht aufzugeben und dringend „in Arbeit“ zu integrieren.
Poet zu mieten in New Orleans, USA. Wenn wir von Arbeit sprechen, meinen wir damit oft sehr unterschiedliche Dinge. So kann ich zum Beispiel sehr hart in meinem Garten arbeiten oder meine Wohnung putzen. Sobald etwas anstrengend ist, kommt es uns schon mal über die Lippen, dass das echt harte Arbeit war. Auch das Produzieren von etwaigen Dingen, sei es das Bauen eines Bettes, das Backen eines Kuchens oder das Stricken eines Pullovers verstehen wir grundsätzlich als eine Form der Arbeit. Es gibt einige Charakteristika, welche typisch sind, um Tätigkeiten als Arbeit zu bezeichnen.
Die Philosophie unterscheidet mindestens acht Kriterien, welche sich über Mühe, Zweckrationalität, Güterproduktion, Regelmäßigkeit und Erhalt eines Einkommens erstrecken. Dabei ist der Verdienst heutzutage das entscheidende Attribut, dem alle anderen Merkmale untergeordnet sind. Denn alles, so mühsam oder produktiv es auch sein mag, erscheint doch irgendwie als Privatvergnügen, solange es nicht dazu führt, dass ich tatsächlich davon leben kann. In Arbeit zu sein, bedeutet deshalb auch – wie man so schön sagt – auf eigenen Beinen zu stehen, für sich selbst sorgen zu können, unabhängig und auf keinerlei Hilfe angewiesen zu sein.
Eine Mutter, die jeden Tag für ihre Kinder sorgt ist nach diesem Verständnis eben nicht in Arbeit und auch ein Vollzeittätiger, welcher aufgrund zu geringer Lohnzahlungen noch mit Hartz IV aufstocken muss, entspricht dem Kriterium nicht vollständig. Mindestens hier scheint irgendetwas schief zu laufen.
Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens betonen deshalb immer wieder, dass Geldverdienen nicht das Hauptkriterium sein kann, um Arbeit zu definieren. Sinnvolle und notwendige Tätigkeiten lassen sich sehr wohl außerhalb des ökonomischen Arbeitsmarktes finden. Volkswirtschaftlich betrachtet werden sogar die meisten Arbeitsstunden ohnehin unentgeltlich geleistet: In Ehrenämtern, Nachbarschaftshilfe und Familie.
Arbeit ist doch nicht nur Geld verdienen!
Interessanterweise wissen auch einige unserer Politiker, dass Arbeit sich nicht im Geldverdienen erschöpft. Hingegen sei Arbeit auch Spaß und Anerkennung und verleihe dem Menschen Würde. Schade nur, dass sie damit nicht sagen wollen, dass all diese schönen Dinge zum Erwerb obendrauf kommen, sondern dass sie Menschen mit solch hehren Sätzen die Bescheidenheit verordnen wollen, auch Jobs im Billiglohnsektor und in der Leiharbeit anzunehmen. Wer denkt denn bitte ans schnöde Geldverdienen, wo es um das edle Gut der Arbeit geht?
Den Befürwortern eines bedingungslosen Grundeinkommens wird hingegen vorgeworfen, Menschen mit profanen Geldleistungen abspeisen zu wollen, ohne sie mit zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen zu segnen. Einfach nur mit Geld könne man die Menschen doch nicht alleine lassen. Einfach ohne Geld hingegen schon.
Politisch verdreht wird hier, dass Geldverdienen zwar kein umfassendes Kriterium für Arbeit, jedoch umso mehr ein notwendiges ist, wenn man „auf eigenen Beinen stehen“ und von der „eigene Hände Arbeit“ leben können soll. Das Argument, Geld sei nicht alles, stellt kurzerhand die Bedürfnispyramide auf den Kopf: Kein Mensch kann sich heute von gesellschaftlicher Anerkennung ernähren oder vom Spaß an der Arbeit, so wunderbar es auch ist, dass diese Eigenschaften dem Arbeitsprozess hin und wieder innewohnen. Daraus aber abzuleiten, dass man bei Arbeit aufs Geldverdienen genügsam verzichten könne ist eine Farce. Ein wahrlich ambivalenter Anspruch, den die Politik dem Individuum auferlegt.
Doch was wäre die geschönte Arbeitslosenstatistik schließlich ohne den aufgeblähten Leih- und Niedriglohnsektor, in den man die Menschen mit solchen Bescheidenheitsparolen hineinmoralisiert? Dieses Lohndumping ist überhaupt nur möglich geworden, weil es ein Heer an Arbeitslosen gibt, die mit massivem Druck durch die Jobcenter auf den Arbeitsmarkt zurückgedrängt werden.
Wir bekennen uns zum Ziel der Vollbeschäftigung
Weil Arbeit so edel und gut ist, auch wenn man davon schon nicht mehr leben kann, darf kein Mensch allein gelassen werden, wenn er sich in einem Leben jenseits von „in Arbeit“ wiederfindet. So heißt es dann auch von Abgeordneten der Regierungsparteien: „Ziel muss immer die Integration auf dem Arbeitsmarkt sein.“ oder „[…] diese Gesellschaft soll verdammt noch mal kein gestörtes Verhältnis zu ordentlicher Erwerbsarbeit bekommen.“
Im Koalitionsvertrag bekennt man sich deshalb gleich im ersten Satz des Abschnittes über Arbeit und soziale Teilhabe „zum Ziel der Vollbeschäftigung“. Diesem wähnt man sich auch schon ganz nahe. Schließlich habe man seit der Hartz-Reform die Arbeitslosenzahlen halbiert und wir stünden mit einem Bein schon fast wieder so gut da wie in der Nachkriegszeit! Glück auf!
Auch hören wir in der aktuellen Diskussion bei Anne Will von 1,2 Millionen freien Arbeitsstellen. Diese armen 1,2 Millionen Arbeitsstellen, die partout nicht besetzt werden wollen, obwohl die Arbeitgeber so händeringend nach Arbeitskräften suchen! Wie kann es sein, dass die Arbeitslosen nicht wie von selbst in diese Lücken rieseln und das gesellschaftliche Vollbeschäftigungsprogramm erfüllen? Es könnte doch so einfach sein!
Frau im Sessel mit Trompete. Wo das Problem liegt, erkennt man jedoch schnell, wenn einem klar wird, dass diese Arbeitsstellen genauso wenig dauerhaft einem fleißigen Arbeitnehmer harren, wie eine leerstehende Wohnung in einer Großstadt einem passenden Mieter. Zwar gibt es täglich tausende leere Wohnungen, doch heißt dies nicht, dass diese statisch dauerhaft leer stehen. Vielmehr bedeutet es, dass bei den ständigen Ein- und Auszügen immer mal Wohnungen leer stehen, die aber schnell wieder vergeben sind. Und auch die 1,2 Millionen freien Stellen sind eine rein statistische Größe einer häufig friktionellen Arbeitslosigkeit, also der Arbeitslosigkeit zwischen der Aufgabe einer alten und dem Finden einer neuen Tätigkeit, dessen freie Stellen sich kurzfristig auftun und schnell wieder besetzt werden. Dies kann überhaupt nur gelingen, wenn es noch genug Arbeitssuchende gibt.
Zwar mag es darunter auch Stellen geben, die in einer strukturellen Arbeitslosigkeit gründen, doch gerade diese könnten durch gezielte Förder- und Bildungsprogramme behoben werden, würde man diese Weitsichtigkeit in den Jobcentern einmal aufbringen.
Tatsache ist jedoch, dass wir nicht ein Problem mit 1,2 Millionen scheinbar unbesetzbaren Stellen haben, sondern mit weit über 4 Millionen Arbeitslosen, welche wie bei dem Spiel der Reise nach Jerusalem einfach keinen (Arbeits)platz mehr finden können!
Dem regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD) ist inzwischen klar geworden, dass der Arbeitsmarkt nicht genug freie Stellen hergibt, um allen Menschen, die Arbeit suchen, auch Arbeit geben zu können. Deshalb schlägt er vor, gemeinnützige Beschäftigung über die Kommunen anzubieten, welche mit einem Mindestlohn vergütet „solidarisches Grundeinkommen“ heißen sollen.
Dieser Begriff hat für einige Verwirrung gesorgt. Denn erstens hat Herr Müller offenbar noch nicht davon gehört, dass der SPD Rhein-Erft-Kreis genau unter diesem Namen schon ein Grundeinkommenskonzept entwickelt hat, welches ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) für alle vorsieht [12] und zweitens beinhaltet sein solidarisches Grundeinkommen eben auch nicht, was die meisten Menschen unter einem „Grundeinkommen“ verstehen. Denn „Grundeinkommen“ meint inzwischen kurz ein „bedingungsloses Grundeinkommen“, dessen Clou gerade darin liegt nicht arbeiten zu müssen, um es zu erhalten. Das ist jedoch das Gegenteil von Müllers Vorschlag.
Der Koalitionsvertrag wähnt sich hingegen in einem „ganzheitlicheren“ Ansatz, um vor allem Langzeitarbeitslose (langzeitarbeitslos ist man nach über 12 Monaten durchgehender Arbeitslosigkeit) in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Die Zauberformel für diese neu geschaffenen Arbeitsstellen liegt in einem „Regelinstrument“, welches vorsieht, sowohl auf dem ersten- als auch dem sozialen Arbeitsmarkt langfristige aber sukzessiv absinkende Lohnkostenzuschüsse zu zahlen. Dies soll Arbeitgeber der freien Wirtschaft, gemeinnützige Einrichtungen und Kommunen dazu motivieren, Arbeitnehmer einzustellen und später auch zu übernehmen.
Bisher wurden Lohnkostenzuschüsse abrupt beendet, was zur Folge hatte, dass Arbeitgeber die Arbeitsverhältnisse immer wieder nach Auslaufen des Zuschusses kündigten, was hier nicht mehr passieren soll. Inwiefern diese Arbeitsstellen reguläre Beschäftigungsverhältnisse nicht verdrängen sollten, bleibt jedoch unklar.
Erster Arbeitsmarkt und der Rest
Jeder Student der Betriebswirtschaft wird schnell lernen, dass das Ziel eines Unternehmens nicht darin liegt, möglichst viele Menschen zu beschäftigen, sondern mit möglichst wenigen Mitarbeitern einen maximalen Gewinn zu erwirtschaften. Unter dieser Prämisse muss der Staat der Wirtschaft schon ganz schön die Stiefel lecken, um sich annähernd so etwas wie Vollbeschäftigung auf die Fahnen schreiben zu können.
Während auf der einen Seite nämlich alles möglichst privatisiert wird, um Kosten zu sparen, muss der Staat auf der anderen Seite mit Lohnkostenzuschüssen und anderen verdeckten Gaben wieder kräftig nachhelfen, damit diese angeblich freie Wirtschaft die Menschen wieder unter ihre Beschäftigungsfittiche nimmt.
Schwaz auf Weiß. Da, wo per se eher wenige Menschen gebraucht werden, hilft man also finanzkräftig nach, Beschäftigung zu schaffen. Doch dort, wo gesellschaftlich höchst sinnvolle Aufgaben anstehen, spart man sich lieber in die schwarze Null.
Es gibt Tätigkeiten, die nicht gewinnorientiert gedacht und schon gar nicht ausgeführt werden können. Behörden, Schulen, Polizei, Universitäten, Justiz, Alten-, Kranken- und Heilerziehungspflege sowie Kinderbetreuung haben in der Privatwirtschaft so wenig zu suchen wie die Müllabfuhr oder die Feuerwehr. Hier lässt sich kein Gewinn erwirtschaften, sondern muss ein notwendiger Dienst an der Gemeinschaft geleistet werden. Dies trifft auch auf etliche andere Branchen zu, deren Sinn in der Erfüllung eines humanen Dienstes und nicht in der Erwirtschaftung eines Profites liegt.
Doch entweder lagert man die Aufgaben seit der Wende zum dritten Weg privatwirtschaftlich aus oder lässt sie brach liegen, in der Hoffnung, dass ein paar engagierte Bürger sich der Not schon annehmen werden. Der Staat braucht sich wahrlich nicht dafür auf die Brust zu klopfen, dass es in Deutschland wieder eine Armenspeisung gibt.
Wenn Michael Müller darauf verweist, dass es sich bei den gemeinnützigen Tätigkeiten nur um zusätzliche Arbeit handelt, die bisher nicht geleistet wird, was er mit dem Beispiel eines Hausmeisters in einer Schule verbildlicht, dann ist das eine traurige Wahrheit. Verdrängt werden kann nur, was noch existiert, aber nicht, was schon gestrichen wurde. Was von Herrn Müller gut gemeint ist, bedeutet doch nichts anderes, als das eigentlich notwendige staatliche Arbeitsverhältnisse durch zusammengeschusterte Ersatzbeschäftigungen auf Hartz-IV-Niveau ersetzt werden.
Was ein Staat sich leisten muss
Den Gürtel enger schnallen, Vollzeitarbeiten, auch wenn es nicht zum Leben reicht, als Mutter das Kind abgeben müssen, um dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit in Hartz IV fallen, auch wenn man 30 Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hat, als Selbständiger kein Geld für die Krankenversicherung haben: Deutschland scheint sich an den schleichenden Abbau von Wohlstand und Lebensqualität gewöhnt zu haben. Hoffnung auf Besserung ist ein Luxus, den man sich nicht mehr zu leisten wagt. Vielmehr soll es immerhin auch den anderen schlecht gehen, damit man das alles ertragen kann.
So kommt es, dass inzwischen auch der Sozialstaat grundsätzlich in Frage gestellt wird und die Kürzungen im Hartz-IV-System breite Legitimation erfahren. „Bei mir würde es nach 2 Jahren gar nichts mehr geben!“ schimpft die Reinigungskraft Heidi Ralfs in einer Talkshow. Dass Kriminalität und Obdachlosigkeit eine direkte Folge von Armut sind, welche nachher auch sie als anständig arbeitendes Glied der Gesellschaft irgendwie belästigen dürfte, scheint ihr nicht bewusst zu sein.
Auch gibt es die Meinung, dass der Steuerzahler sich gegen Arbeitsunwillige wehren können muss: „Wir alle können uns somit nicht mehr vor der Ausbeutung derjenigen schützen, die nicht selbst für sich sorgen wollen, selbst wenn sie es könnten.“
Der Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens löst deshalb auch bei Stephan Stracke (CDU) große Empörung aus: „Was letztlich dahinter steckt ist eine Entkoppelung des Anspruchs auf Existenzsicherung vom Arbeitsmarkt und letztendlich bedarf ich überhaupt keiner Bereitschaft mehr einer zumutbaren Arbeit nachzugehen.“
Ja, das hat Herr Stracke richtig verstanden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen will den Anspruch auf Existenzsicherung von der Pflicht einer Arbeit nachzugehen entkoppeln. Ja, ein Existenzrecht sollte ein Mensch sich eben nicht erst verdienen müssen, sondern das sollte ihm von Geburt an zustehen. Ja, so ein Recht sollte jeder Mensch per Grundrecht irgendwie schon haben, ohne dafür erst eine Gegenleistung erbringen zu müssen. Und ja, tatsächlich steht sogar genau das schon in unserem Grundgesetz: „Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Bundesstaat“, in welchem die Würde zu achten und zu schützen, Verpflichtung aller staatlichen Gewalt ist.
Ein Existenzminimum muss in einem sozialen Bundesstaat unter allen Umständen gewährt werden und darf nicht von einem Wohlverhalten abhängig sein. Die Bundesregierung versucht mit Hartz IV einen interessanten Mittelweg. Das Motto scheint zu lauten: Wie schlecht kann man es machen, dass es von außen aber noch nach Sozialstaat aussieht? Wer genauer hinsieht, wird auch bemerken, dass die schlichte Existenz auf Minimalniveau nichts mit einer Ausbeutung zu tun haben kann, da man nicht mehr in Anspruch nimmt, als man geradeso zum Überleben braucht. Ein Grundrecht kann man nicht ausbeuten.
Ein Recht auf Arbeit?
Ist das bedingungslose Grundeinkommen nun also etwas für faule Systemdeserteure? Sehen die denn nicht, dass ein anständiges Leben bedeutet, seinen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten? So definiert die Philosophieprofessorin Angelika Krebs: „Eine Arbeitsgesellschaft ist eine Gesellschaft, in der soziale Zugehörigkeit wesentlich daran geknüpft ist, dass man seinen Arbeitsbeitrag leistet.“
Roboter Pepper mit einem Notebook. Und Oskar Negt definiert Arbeitslosigkeit als einen Gewaltakt, da es ein Recht sein muss, von bezahlter Leistung leben zu können. Wird diese Möglichkeit entzogen, bedeute dies einen schmerzhaften Entzug von Anerkennungsprivilegien. Obwohl immer wieder prophezeit wird, dass die Arbeit in Zukunft ausgehen könnte, was gerade durch die Digitalisierung und Arbeit 4.0 in vieler Munde ist, habe Arbeit kaum eine Abwertung erfahren, konstatiert Negt.
Aber wie könnte sie auch? Arbeit wird politisch als Basis für ein Existenzrecht zementiert. Nicht nur, dass man ohne Arbeit nicht gut leben kann, viel mehr soll man ohne Arbeit auch nicht gut leben können! Wer mit Parolen wie „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ jedes Dasein jenseits der Erwerbsarbeit verächtlich macht und durch mediale Kampagnen das Bild eines Lumpenproletariats zeichnet, kann nachher mit Sicherheit finden, dass die Gesellschaft nach einem Recht auf Arbeit schreit und Sanktionen für Arbeitsunwillige als Strafe fordert. Die Hartz-IV-Reform hat die gesellschaftliche Stimmung ihrer eigenen Legitimation gleich mit erzeugt.
Dabei ist ein Recht auf Arbeit wahrlich paradox. Der Ruf nach einem Recht auf Pflicht. Denn ein Recht auf Tätigkeit im umfassenden Sinne braucht man nicht einzufordern. Das Recht auf sinnvolle Tätigkeit existiert immer, solange man ein handlungsfreier Mensch ist. Doch das Recht auf Arbeit meint das Recht, seine Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen zu „dürfen“. Da dieses scheinbare Privileg aber in unserer Gesellschaft eine Notwendigkeit ist und keine freie Wahl, handelt es sich um einen Ruf nach Unterdrückung: Das Recht, die Pflicht zu haben, nur gegen eine Arbeitsleistung Leben zu können.
Dass manche Muslima freiwillig ein Kopftuch tragen will, können wir nicht verstehen. Ein Recht auf Arbeit finden wir aber voll okay. Dabei wäre ein Recht auf Einkommen zu fordern, um endlich frei zu sein in der Entscheidung, welche Arbeit wir sinnvollerweise erledigen wollen oder welche gerade ansteht.
Soziale und sinnvolle Arbeit
Das Grundproblem, welches der Forderung eines Rechtes auf Arbeit innewohnt, ist, dass wir gemeinhin glauben, Geldverdienst wäre ein untrügliches Zeichen von sozialer Relevanz. Findet sich ein zahlender Kunde für eine Dienstleistung, weist das eine Tätigkeit als sozial bedeutsam aus. Stehe ich hingegen mit meinen selbst geklöppelten Decken allein an meinem Verkaufstresen und finde keinen Abnehmer, war all mein Klöppeln offenbar umsonst und hat keinen gesellschaftlichen Wert.
Die Gleichsetzung von Erwerbsarbeit und wichtiger Arbeit führt auch dazu, dass Tätigkeiten in einem künstlich geschaffenen Sektor nur schwerlich Anerkennung finden. Zwar kann man durch die Aufnahme eines 1-Euro-Jobs seine Arbeitswilligkeit beweisen, doch irgendwie haftet dem der Beigeschmack an, eine eigentlich nicht wirklich notwendige Tätigkeit zu sein.
Das besondere an Arbeit ist, dass wir durch sie unsere soziale Zugehörigkeit beweisen. Deshalb sind sowohl Mühe als auch Güterproduktion, zweckrationales Handeln oder sozial eingebundenes Handeln in einem Ehrenamt letztlich keine „echte Arbeit“ im Sinne unseres Gerechtigkeitsverständnisses, sondern erst die Arbeit mit Erhalt eines Lohnes oder Honorars.
Einfach umdefinieren kann man Arbeit deshalb nicht. Aber aufklären kann man darüber, dass heute weder jede sinnvolle und notwendige Arbeit bezahlt wird, noch jede bezahlte Arbeit sinnvoll und notwendig ist. Der angeblich freie Markt vermag es nämlich nicht, die Hürde zu überwinden, dass Bedürfnisse armer Menschen häufig unbefriedigt, seltsame Luxusbedürfnisse reicher Menschen hingegen willfährig bedient werden.
Auch sollten wir uns darüber bewusst werden, dass Tätigkeiten, die heute keinen Wert zu haben scheinen, in Zukunft sehr wichtig sein können. So haben Erfinder wohl häufig das schwere Los erlitten, über Hunger und Durst hinweg ihre Neuerungen in die Welt zu bringen, die später der Gesellschaft einen großen Dienst erwiesen. Charles Goodyear ist so ein legendäres Beispiel, welchem wir zwar unsere Autoreifen zu verdanken haben, der aber selbst nur in Not überleben konnte.
Viel zu gerne lassen wir uns damit abspeisen, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen viel zu teuer wäre. Und das glauben wir dann. Während das Vermögen in wenigen Händen exorbitant in die Höhe schnellt, die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, lassen wir uns einreden, dass das Geld nicht dafür vorhanden sei, ein Existenzrecht zu ermöglichen. Die Menschen werden für dumm verkauft.
Quelle:
via @Diana Aman, 28.04.2018