Nach Ansicht der Initiantinnen und Initianten von «AHVplus» sind die AHV-Altersrenten zu niedrig – vor allem für Personen mit tiefen und mittleren Einkommen. Die Initiative fordert deshalb, dass alle AHV-Altersrenten um 10 Prozent erhöht werden. Die Witwer-, Witwen- und Waisenrenten der AHV und die Invalidenrenten der IV würden nicht erhöht.
Quelle: Abstimmungsbüchlein zur Volksabstimmung vom 25. September 2016
AHV- und IV-Renten sind bisher gleich hoch; die maximale AHV/IV-Rente für eine Einzelperson beträgt aktuell 2350.-/Monat. Die minimale AHV/IV-Rente 1175.-/Monat. Personen, deren weitere Einkommensquellen (Erwerbseinkommen, Pensionskasse, 3. Säule, Vermögen) den Existenzbedarf nicht decken, haben Anrecht auf Ergänzungsleistungen. Der Existenzbedarf der Ergänzungsleistungen liegt deutlich höher als jener der Sozialhilfe. Das liegt darin begründet, dass die Sozialhilfe eigentlich nur als kurzfristige Überbrückungshilfe in akuten Notlagen gedacht ist, während Ergänzungsleistungen bei längerfristigen AHV/IV-BezügerInnen nicht nur das «Überleben», sondern auch eine Teilnahme am sozialen Leben ermöglichen sollen.
Die Initianten von «AHVplus» argumentieren schwerpunktmässig mit «Personen mit tiefen Einkommen», also jenen, die sowieso Anrecht auf Ergänzungsleistungen haben. Laut Abstimmungsbüchlein würde sich aber die finanzielle Situation für die Mehrheit der EL-beziehenden AHV-BezügerInnen (140’000 Personen) durch eine Erhöhung der AHV nicht verbessern, weil die Ergänzungsleistungen einfach entsprechend sinken. Aufgrund unterschiedlicher Schwelleneffekte hätten 15’000 EL-BezügerInnen gar weniger Geld zur Verfügung, 49’000 aber mehr. Allerdings ist (mir) nicht bekannt, wieviel «mehr».
AHV-Renten werden jedoch besteuert und Ergänzungsleistungen nicht und je nach Wohnort kann sich deshalb auch eine kleine Verschiebung von den EL zur AHV steuertechnisch negativ auswirken. Das heisst, viele der 140’000 EL-Bezüger, für die sich laut Abstimmungsbüchlein «einkommensmässig nichts ändern würde» hätten unter dem Strich (nämlich nach Bezahlen der Steuern) einige hundert Franken weniger als heute zur Verfügung.
Profitieren würden von einer Erhöhung der AHV vor allem diejenigen, die schon heute überhaupt keine Ergänzungsleistungen beziehen müssen. Also mitnichten «die Ärmsten».
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«Verdiente» statt «benötigte» AHV?
Sieht man von der spezifischen Situation der ErgänzungsleistungsbezügerInnen einmal ab, fragt man sich auch, warum die InitiantInnen bei den AHV-BezügerInnen eine Erhöhung der Rente für dringend notwendig halten, bei den IV-BezügerInnen (deren Renten wie eingangs erwähnt, gleich hoch bzw. tief sind) aber nicht. «Für die Behindis reicht das schon» – oder wie? (Was sagen eigentlich die Behindertenorganisationen dazu?)
Der Erhalt einer AHV-Rente scheint in der Wahrnehmung der Bevölkerung ganz generell etwas zu sein, was man sich «verdient» hat, worauf man ein «Recht» hat, während der Bezug einer IV-Rente nach wie vor für viele Leute etwas «Gschämigs» ist. Eher eine huldvoll gewährte Barmherzigkeit seitens der Gesellschaft, denn eine Versicherungsleistung, auf die man im Schadensfall ein Anrecht hat. Das ist insofern paradox, als bei einer Invalidität eine medizinisch begründete Erwerbsunfähigkeit vorliegt, während die allerwenigsten AHV-RentnerInnen mit dem 64./65. Geburtstag über Nacht eine plötzliche und komplette Erwerbsunfähigkeit erleiden.
AHV-Renten bei (grösstenteils) noch bestehender Arbeitsfähigkeit ist so gesehen ein Luxus, den sich unsere Gesellschaft (noch) leistet. Als die AHV eingeführt wurde, lebten die Menschen aufgrund oft körperlich anstrengender Arbeit und schlechterer medizinischer Versorgung nicht noch 20 oder 30 Jahre von der AHV. Statt des angeblichen «Sozialabbaus» geschah ein sukzessiver Ausbau; viele Menschen müssen – zum Glück – nicht mehr «bis zum Umfallen» arbeiten, sondern leben nach der Pensionierung oft noch viele Jahre bei relativ guter Gesundheit unbelastet von Arbeit und finanziellen Sorgen (zur Not helfen Ergänzungsleistungen). Allerdings nicht alle: 15 Prozent der Männer beziehen kurz vor dem Pensionsalter bereits eine Invalidenrente. Und laut Aussage der Unia (ich habe das nicht nachgeprüft) sind gar 60 Prozent der 55- bis 65-jährigen Maler und Gipser IV-Bezüger.
Umgekehrt arbeiten manche Menschen, die in körperlich weniger anstrengenden Berufen tätig sind, auch über das Pensionsalter hinaus. Angesichts dieser unterschiedlichen Erwerbsfähigkeiten im Alter könnte man sich mal versuchsweise vorstellen, wie es wäre, wenn es gar keine AHV mehr gäbe, sondern nur noch eine IV bzw. eine EUV (Erwerbsunfähigkeitsversicherung). Renten würden dann nicht mehr automatisch beim Erreichen eines gewissen Alters ausgezahlt, sondern nur noch aufgrund einer tatsächlichen (medizinisch begründeten) Erwerbsunfähigkeit.
An dieser Stelle folgt jetzt vermutlich lauter Protest: Man hat sich die AHV doch verdient! In die IV zahlt man allerdings auch ein Leben lang ein und ist dann doch froh, wenn man sie nicht, oder falls doch, möglichst spät braucht. Möglicherweise ist die Vorstellung einer von der effektiven Erwerbsfähigkeit abhängigen Altersrente auch deshalb unangenehm, weil wir uns weigern, das eigene Altern als eine – zunehmende – «Behinderung» zu sehen. Behindert? ich doch nicht! («Nein, ich brauche kein Hörgerät!», «Warum schreiben die das Kleingedruckte immer kleiner?» u.s.w.)
Selbst eine ritualisierte Sichtbarmachung der abnehmenden Kräfte im Alter mit einer gestaffelten Teil-AHV* würde als Vorschlag vermutlich vor allem von männlicher Seite vehement abgelehnt, widerspricht sie doch der nach wie vor verbreiteten männlichen Unverwundbarkeitsvorstellung: «100% bis zum letzten Tag» (und dann kurz nach der «verdienten» Pensionierung einen Herzinfarkt).
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65: 80% Erwerbstätigkeit, 20% AHV
66: 60% Erwerbstätigkeit, 40% AHV
67: 40% Erwerbstätigkeit, 60% AHV
68: 20% Erwerbstätigkeit, 80% AHV
69: 100% AHV
Weg mit der #behoerdenwillkuer und dem #ivdebakel
Quelle: via @ IVInfo, September 11, 2016 at 12:56PM
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