Freitag, 22. März 2019

Jobcenter schickt Hartz-IV-Empfänger auf Campingplatz – Wohnungen zu teuer! – FOCUS Online

Kein fließend Wasser, Eimer als Toilette weil Wohnungen zu teuer sind: Jobcenter schickt arme Rentner auf Campingplatz
Jeden Abend muss Johann Schulz einen Eimer mit etwas Wasser in seinen Wohnwagen bringen - nachts schafft er es nicht rechtzeitig zu den Toiletten
ZFJohann Schulz wurde vom Jobcenter auf den Campingplatz verbannt. Jeden Abend muss er einen Eimer mit etwas Wasser in seinen Wohnwagen bringen – nachts schafft er es nicht rechtzeitig zu den Toiletten

Freitag, 22.03.2019, 12:28

Wer auf dem Campingplatz „Zum Katzenstein“ im Westerwald lebt, ist meist nicht freiwillig dort: Das örtliche Jobcenter schickt Menschen ohne Unterkunft hierher – darunter alte und kranke Menschen. Der Grund: In der Stadt sind richtige Wohnungen knapp und teuer.

Johann Schulz lebt auf dem Campingplatz „Zum Katzenstein“ im Westerwald. Sein Kaffeewasser holt sich der 84-Jährige mit Flaschen aus Waschräumen – eine beschwerliche Aufgabe, gerade im Winter. Doch es gibt keine Alternative. „Die Leitungen liegen kreuz und quer über den ganzen Platz. Da friert das ja ein“, erklärte er in der ZDF-Sendung „Frontal 21“.

Schulz war Schlosser, erhält zur Rente einen Grundsicherungszuschuss – und kommt so auf insgesamt 632 Euro. Viel zu wenig für eine Wohnung. Also lebt er im Campingwagen, schon seit 20 Jahren. 250 Euro Miete zahlt er dafür, plus Strom. So wie 30 andere Dauermieter. „Wir haben eine Menge Leute auf dem Platz, die alle auf Wohnungssuche sind, die alle keine Wohnung haben“, sagt Schulz.

„Die schicken Leute hierher, weil in der Stadt gibt’s nichts“

Jeder Dritte von ihnen bekommt Hartz IV oder Grundsicherung. In drei Kilometern Entfernung liegt die Stadt Westerburg – doch dort ist bezahlbarer Wohnraum knapp. Deshalb empfiehlt das Jobcenter vor Ort seinen „Kunden“ ganz offiziell, sich beim Campingplatzbetreiber zu melden.

30 Dauermieter leben auf dem Campingplatz im Westerwald
ZDF30 Dauermietern auf dem Campingplatz im Westerwald

In Deutschland gibt es laut Schätzung der Wohnungslosenhilfe rund 1,2 Millionen Wohnungslose – und es werden wohl immer mehr, auch wenn es keine offiziellen Zahlen dazu gibt. Gerade dort, wo es extrem teuer ist, geben Bedürftige irgendwann auf und werden zu Dauercampern, erklärt der Campingplatzbetreiber. „Die schicken Leute hierher, weil in der Stadt gibt’s nichts“, bestätigt der Betreiber.

Kein fließend Wasser, Eimer als Toilette

Aus der gesamten Region kommen Menschen zu ihm und bitten um einen Platz. Das Jobcenter zahlt die Miete und einen Teil der Umlagen – und ist damit aus dem Schneider. „Ich bin quasi der Letzte, der dann hier die Leute an der Backe hat, um zu gucken, die Leute wieder auf den richtigen Weg zu bringen oder sie loszuwerden“, sagt der Betreiber.

Eine schwierige Aufgabe. Denn wer bei ihm wohnt, nimmt ohnehin harte Lebensbedingungen in Kauf: Schulz lebt ohne fließend Wasser und ohne Klo im Wohnwagen. Jeden Abend schleppt er einen Eimer mit etwas Wasser in den Wagen. „Bis zu den Toiletten zu gehen, würde ich gar nicht schaffen. Ein Paar Schuhe anziehen und noch was drüberziehen“ – das dauert ihm in der kalten Nacht zu lange. Außerdem kann er kaum noch gehen und sieht schlecht.

„Das darf es einfach nicht geben in unserem reichen Land“

„Das ist einfach menschenunwürdig“, sagt Jessica Hill vom Verein „Menschenwürdige Grundsicherung“. „Menschen dort abzustellen und zu vergessen – und dann auch noch so weit weg von der Infrastruktur – das darf es einfach nicht geben in unserem reichen Land.“

Einmal erhielt Schulz vom Amt eine Betreuerin zugeordnet. Sie besorgte ihm eine Unterkunft. Doch dort war es nicht viel besser: Alle 30 Minuten musste er zum Heizen Holz in einen Ofen schichten.

Enge und steile Treppe führte zur Toilette

Schlafen sollte er im selben Zimmer wie der Vermieter. Und wenn er auf die Toilette musste, wartete auf ihn eine enge und steile Treppe nach unten – ein Ding der Unmöglichkeit für den alten Mann.

Diesen Ofen musste Schulz alle 30 Minuten befeuern - eine Heizung gab es nicht
Privt/ZDFDiesen Ofen musste Schulz alle 30 Minuten befeuern – eine Heizung gab es nicht

„Die Betreuerin hat gesagt: Der braucht einen Eimer mit Deckel“, erzählt Schulz den Reportern und schnäuzt sich die Nase. „Da hat sie mir einen Eimer mit Deckel besorgt.“ Genau wie auf dem Campingplatz – auf den er nach drei Wochen zurückkehrte.

Dabei war er nicht der einzige Bedürftige, der ins das Haus geschickt wurde: Katrin Beeker lebt dort bis heute. Mehr kann sie sich nicht leisten, muss mit 680 Euro im Monat auskommen, weil sie nach dem Tod ihres Mannes die Raten für ihr Haus nicht mehr bezahlen konnte.

„Die Behörden hier haben definitiv versagt“

„Es gibt keine Heizung im Haus“, klagt sie. Außerdem befindet es sich mitten in einem Loch des Mobilfunknetzes. „Handy ist hier zwecklos – es gibt keinen Empfang“, sagt Beeker. Und die Dusche? Hat nur kaltes Wasser.

Jessica Hill hat sich in ihrer Sorge um die Menschen vom Campingplatz beim Amt beschwert und auch ans Amtsgericht gewandt – vergeblich. „Die Behörden hier haben definitiv versagt“, sagt sie. „Es wurde nicht geholfen.“

„Irgendwann ist mal Schicht im Schacht“

Stattdessen helfen sich die Menschen auf dem Campingplatz gegenseitig – seien es Fahrten zum Arzt oder der Austausch von Gasflaschen. „Aber irgendwann ist bei so einer Lebenssituation mal Schicht im Schacht“, sagt ein Nachbar, der selber als Arbeitslosengeld-Empfänger auf dem Campingplatz haust.

Johann Schulz kann kaum noch sehen
ZDFJohann Schulz kann kaum noch sehen

Und was sagen die Behörden zu der Situation?

Bürgermeister und Verbandsgemeinde fühlen sich laut „Frontal 21“ nicht zuständig. Die Kreisverwaltung wiederum erklärte, es gebe „in unserer Gesellschaft Menschen, die sich selbstbestimmt gerade für eine solche Wohn- und Lebensform im Einklang mit der Natur bewusst entscheiden und eine dauerhafte feste Behausung ablehnen.“ Für Menschen wie Schulz muss das wie Spott klingen.

https://www.focus.de/finanzen/altersvorsorge/rente/kein-fliessend-wasser-eimer-als-toilette-weil-wohnungen-zu-teuer-sind-jobcenter-schickt-arme-rentner-auf-campingplatz_id_10484446.html



Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Norbertschulze, March 22, 2019 at 11:37PM

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