Dienstag, 23. Juni 2015

Ich bin ja nicht ausländerfeindlich, aber…

Noch nie habe ich auch nur einen einigermaßen intelligenten Satz gehört, der mit diesen Worten eingeleitet wurde.

Ich bin viel online und da liest man so Einiges. Ja, man kann dem Thema Migrationspolitik selbst als politisch relativ uninteressierter Mensch eigentlich kaum ausweichen. Ich lese einen Artikel, er muss nicht einmal per se politisch sein und werfe unwillkürlich einen Blick auf darunter geführte Forumsdiskussionen, die einer verbalen Steinigung gleich kommen.


Das Wort „Steinigung“ verwende ich in diesem Kontext mit großem Unbehagen, kenne ich doch persönlich Menschen, die aus Ländern fliehen mussten, wo ihnen gerade derartige Folter real droht. Für Lappalien wie öffentliches Tanzen. Oder das Ansehen einer amerikanischen DVD. Das Ablegen eines Schleiers. Den Wunsch nach Ausbildung. Die Unterstützung der falschen Partei …

Es fällt mir, auch wenn ich die derzeitige Diskussionskultur in Österreich beobachte, nicht schwer, mir vorzustellen, dass Menschen im Schutz des Kollektivs zu derlei (nicht nur verbalen) Grausamkeiten fähig sind.

Ich bin Rechtsanwältin in einem Land, in dem gerade Asyl- und Fremdengesetze – ich behaupte wohlkalkuliert – eine geringere Haltbarkeitsdauer als Mikrowellengerichte haben. Die Gesetze über die Zuwanderung und die Gewährung von Schutz sind fast unlesbar geworden, sie sind unverständlich, schwer anwendbar und wie Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes belegen, teilweise sogar menschenrechtswidrig.

Ich arbeite aus Überzeugung in einem Rechtsbereich, der von großen Teilen der Bevölkerung verurteilt und sogar von vielen Kolleg*innen bestenfalls ignoriert wird.

Wenn Menschen mich nach meiner Arbeit fragen, interessieren sie oft nicht die unfassbaren menschlichen Schicksale dahinter, sondern es ist immer eine wiederkehrende Frage: „Wer bezahlt Euch das eigentlich?“

Haben Sie schon einmal von sozialen Netzwerken gehört? Nein, nicht Facebook oder Twitter. Ich spreche von Menschen, die ihren Freund*innen und Verwandten ohne Misstrauen und Bedenken jederzeit Geld leihen würden, um ihnen in Notsituationen zu helfen. Und von Vertrauen? Auch das Vertrauen als Anwält*in, zum einen darauf, dass ein*e Mandant*in nach positivem Abschluss des Asylverfahrens die Rückzahlung der Honorarnote als persönliche Verpflichtung ansieht und in kleinen Raten den Betrag abstottert. Zum anderen aber auch das Vertrauen als routinierte*r Jurist*in darauf, dass man einen Fall gewinnen kann und die zur Bekämpfung der rechtswidrigen Entscheidung entstandenen Kosten im Wege von Kostenersatz oder Amtshaftung erstattet werden.

Ein amerikanischer Kollege berichtete mir neulich von der dort vorherrschenden Pro Bono Kultur: renommierte Kanzleien betreuen in den USA unentgeltlich Menschenrechtsfälle und werben sogar mit ihren Erfolgen. Dort ist es höchst angesehen, Asyl- und Misshandlungsfälle zu vertreten. Es wird als wichtiger Dienst an der Gesellschaft empfunden.

In Österreich ist es eher angesehen, Wirtschaftscausen zu vertreten. Der Begriff „Ausländer*innen“ wird häufig synonym mit „Kriminellen“ verwendet und die wenigen Anwält*innen, die sich gerne und engagiert um diese Klientel kümmern, werden hier nahezu als Teil einer organisierten „Schlepperindustrie“ dargestellt.

Ich möchte nicht tauschen, weder das Land noch die berufliche Spezialisierung. Aber ein Stück mehr Wertschätzung für Menschen, die nach Österreich kommen, die alles zurückgelassen haben und einen für sie sicherlich wichtigen Grund hatten, ihr Leben anderswo führen zu wollen, wäre schon wünschenswert. Niemand trifft leichtfertig die Entscheidung, seine Familie, seine Freund*innen, seine Habseligkeiten, sein Land und seinen erarbeiteten Status zurückzulassen. Welcher irakische Chirurg möchte schon ernsthaft freiwillig Hilfsarbeiter in Wien werden?

Auch wenn nicht alle (vom Gesetz so bezeichneten) Ausländer*innen asylberechtigt sind, so verdienen sie zumindest eine faire Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen und ihrer Geschichte.
„Wir können doch nicht alle nehmen“ – Ja, alle Migrant*innen dieser Welt nicht, das wäre ebenso unsinnig wie auch faktisch unmöglich.

Und ja, es gibt auch kriminelle Ausländer*innen in Österreich – so wie es auch kriminelle Inländer*innen gibt. Mit Pauschalverurteilungen sollte man jedoch immer sehr vorsichtig sein.
Es gibt also Asylwerber*innen mit Smartphones. Es gibt aber auch ein Recht auf Privatleben, das Kommunikation miteinschließt. Smartphones kann man mittlerweile um eine ausgesprochene Lächerlichkeit kaufen und sie schaffen Kontaktmöglichkeiten für Menschen, die aus Gründen, die wir nicht kennen, getrennt von der Familie in Österreich leben müssen.

Es gibt Asylwerber*innen, die darüber klagen, dass sie in heißen, stickigen Zelten ausharren müssen. Nein, auch ich habe keine syrischen Familien in meiner Wohnung aufgenommen. Aber ich würde ohne zu zögern vorübergehend meine Freund*innen aufnehmen und sogar einige meiner langjährigen Mandant*innen, wenn es notwendig wäre, um sie vor Obdachlosigkeit zu bewahren.
"Das ist einfach nur menschlich!"
Ich argumentiere hier nicht für Rechts oder Links. Ich erzähle nur vom Leben und von Menschen, die ich kennengelernt habe und die meinen Horizont bereichert haben und plädiere für ein bisschen Respekt. Im Internet und im Alltag.

Und nun sitze ich hier und warte auf den ersten Stein[...]


Quelle: via @Politicas.at, June 22, 2015 at 07:43PM

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