Donnerstag, 4. Februar 2016

„Die kriegt wohl nicht genügend Sex!“

Bianca Xenia Mayer – Kommunikationswisschenschafterin, Redakteurin bei bento und Bloggerin bei groschenphilosophin.at – hat schon oft am eigenen Leib die Erfahrung gemacht, mit welcher Wut Autorinnen im Internet konfrontiert sein können. Viele schreibende Frauen müssen sich zudem mit derben Vorwürfen darüber herumschlagen, sie würden sich bloß um sich selber drehen: Insbesondere wenn sie es wagen, Kommentare zu veröffentlichen oder über ihre Person zu schreiben. Bianca Xenia Mayer hat nun eine Forschungsarbeit zum Thema veröffentlicht. Darin geht sie der Geringschätzung gegenüber Autorinnen nach und untersucht, ob es sich dabei um ein sexistisches Phänomen handelt. Ich wollte mehr dazu erfahren und habe sie zum Interview getroffen.

„Niemand interessiert sich für deine Befindlichkeits-Scheiße!“: Ein glorreiches Kommentar-Beispiel aus deinem Arbeitsalltag. Sowas kennen die meisten Autorinnen im Internet. Die darin enthaltene und allzu häufige Anschuldigung gegenüber Journalistinnen ist, dass sie bloß „quasseln“ würden. Wie kommt es zu diesem Vorwurf?

Schreiben war im politischen Kontext lange Zeit Männern vorbehalten, während Frauen eine gewisse kommunikative und ästhetische Kompetenz zugestanden wurde. Otto Groth war der Meinung, dass Frauen die Arbeit im Feuilleton leichter fällt, da diese Tätigkeit „bei ihrem Subjektivismus und ihrer Fähigkeit zu plaudern“ naheliegt. Damit waren sie dann quasi für die nicht allzu tiefgründige Schriftstellerei qualifiziert. Wir kennen die stereotypen Geschlechtszuschreibungen auch noch heute: „Frauen können gut zuhören und kommunizieren, das ist eben typisch weiblich.“ Historisch betrachtet waren Frauen in der Journalismus- und Literaturgeschichte lediglich „die Anderen“. Frauen arbeiteten als Lektorinnen und Zuarbeiterinnen ihrer Männer und Brüder. Für die nüchterne Darstellung der Fakten blieb der Mann zuständig.

Kann es denn überhaupt „objektiven“ Journalismus geben?

Aus konstruktivistischer Perspektive nicht. Die Vertreter*innen lehnen positivistische Konzepte von Wahrnehmung entschieden ab, sie halten die objektive Erkenntnis für prinzipiell unerreichbar. Die Trennung von Information und Meinung etablierte sich im deutschsprachigen Journalismus erst nach 1945 und gilt seither als scheinbar unumstößliche Norm. Das ist seriöser Journalismus und nur das. Dabei wird gerne vergessen, dass sich der redaktionelle Journalismus erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem schriftstellerischen entwickelte. Man muss aber keine Angst haben, dass der anerkannte „Objektivitätsjournalismus“ durch den neuen, personalisierten ersetzt wird. Unterschiedliche Darstellungsformen können nebeneinander bestehen, ohne sich auszuschließen. Auch ist die eine nicht besser als die andere, sie bedienen lediglich unterschiedliche Funktionen und Zielgruppen.

Ist der Vorwurf der „Plauderei“ nicht viel eher genrespezifisch?

Auch. Das Feuilleton versucht ja, in bewusst persönlicher Manier die Kleinigkeiten, Nebensächlichkeiten des Lebens zu thematisieren und ihnen dabei eine bewegende Seite abzugewinnen. Das kann man als typische Kritik am Genre an sich werten, ja. Generell scheint es sich um ein Grundproblem der Deutschen und Österreicher zu handeln, dass jemand, der ein ernsthaftes Thema feuilletonistisch behandeln möchte, gerne als flatterhaft und leichtgewichtig gilt. Da wundert es kaum, dass sich die Kommunikationswissenschaft bisher wenig damit beschäftigt hat.

Du hast viele Journalistinnen zu ihren Erfahrungen interviewt. Mit welchen Ansichten sind die Frauen bezüglich ihrer Arbeit konfrontiert?

Das Übliche ist: Zu weich, zu personalisiert, warum „muss man da jetzt drüber schreiben?“. Gerade wenn Sex ein Thema ist, fallen die Reaktionen heftig aus. Darüber hinaus hat mir Elfriede Hammerl zum Beispiel erzählt, dass ihre Texte von manchen Leser*innen fälschlicherweise als „Frauenecke“ im Profil wahrgenommen werden. Dabei ist sie eine der wenigen von mir Interviewten, die das Persönliche größtenteils ausspart und eigentlich gar nicht von sich selbst erzählen möchte. Außer einer Befragten, waren alle Journalistinnen schon mit Hate-Speech, also mit Hass-Kommentaren, konfrontiert. Das ging sogar bis zu Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Davon sind besonders Frauen betroffen, die sich öffentlich klar als Feministinnen positionieren und auch ebendiese Themen behandeln.

Warum erleben gerade Feministinnen diesen Gegenwind?

Das ist die typische Strategie von Sexist*innen, weibliche Emanzipation zu verhindern. In der Psychologie nennt man das „Shooting the Messenger“ – mache jene Personen mundtot, die für Gerechtigkeit eintreten, indem du sie frontal attackierst, anstatt sachlich zu argumentieren. Eine sachliche Argumentation würde den Feministinnen andernfalls den notwendigen Raum geben, ihre Überzeugungen zu beweisen und könnte somit auch andere ins Boot holen – Sachlichkeit wäre also problematisch, da sie der Emanzipation Aufwind geben würde. Die Standpunkte von Widerständigen hingegen zu schwächen, ist der logische Mechanismus eines jeden repressiven Regimes, um den eigenen Machtanspruch durchzusetzen. Das funktioniert über verschiedene Methoden, indem man beispielsweise ihre Positionen ins Lächerliche zieht, sie ignoriert und stattdessen eine Paralleldiskussion aufmacht, sie beleidigt oder eben Taktiken der Abwertung anwendet, die ihre Meinungen als „Quasselei“ herabsetzen. So gesehen ist der Umstand, dass feministische Journalistinnen mehr Hate-Speech erleben, ein Beweis dafür wie dringend es sie braucht.

Was kriegen Frauen im Journalismus zu hören, das Männern erspart bleibt?

Margarete Stokowski hat die Zuschreibungen von Lesern (und seltener Leserinnen) sehr schön zusammengefasst: „Warum macht sie das, irgendwie muss das pathologisch sein!“, „Sie schreibt über sich selber, okay, sie kriegt nicht genug Liebe!“, „Die kriegt wohl nicht genügend Sex!“, „Sie bekommt nicht genug Aufmerksamkeit“ usw. Während Männer für ihre Offenheit und Schlagfertigkeit gefeiert werden, steht dieselbe Sorte Text bei Frauen unter pubertärem Selbstfindungsverdacht. Zudem muss die Arbeit von Männern nicht mit dem Zusatz „männlich“ versehen werden, ganz einfach, weil ihre Ansichten als universelle Norm gelten.

Der berühmte „weibliche Journalismus“?

Genau. Aber eigentlich gibt es ihn gar nicht, diesen „weiblichen Journalismus“. Dafür nehmen sowohl Männer als auch Frauen die journalistischen Tätigkeiten wie recherchieren, schreiben und redigieren zu wichtig. Aber es gibt für Frauen vorgesehene Texte. Gewisse Attribute, mit denen man „weibliche Literatur“ oder „weibliche Texte“ verbindet, sind noch vorhanden. Wenn es den „weiblichen Journalismus“ gibt, dann vor allem deshalb, weil Frauen für eine andere Art von Texten angefragt werden als Männer. Bestes Beispiel ist der Internationale Frauentag am 8. März.

Du selbst betreibst ihn ja auch: First-Person-Journalism. Warum brauchen wir ihn?

„Personal writing“ hat eine spezifische journalistische Funktion. Er macht Journalismus menschlich und zeigt den Leser*innen was eine Person fühlt, was wichtig für das alltägliche Leben sein kann. Dieses Leben besteht nun einmal nicht ausschließlich aus dem, was im Wirtschaftsressort statistisch dargelegt wird. Auch ist die Annahme falsch, dass die Unterhaltung der Information konträr gegenüberstehe. Die Wissenschafterin Rosalind Coward sagt, dass Geschichten des alltäglichen Lebens – über menschliche Verhaltensweisen, Gefühle, Hoffnungen, Ängste und Herausforderungen – die Seele jeder guten Zeitung repräsentieren sollten. Sie sieht die persönlicheren Stimmen im journalistischen Umfeld als Indiz einer generellen, gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Das würde ich so unterschreiben. Das narrative Ich kann ausgewählt werden, um bestimmte Themen anders aufzubereiten und „dem“ Journalismus eine lebensnahe Komponente zu verliehen. Das bedeutet im Gegenzug nicht, dass es keinen Bedarf an gut recherchierten Reportagen und investigativen Stories gibt. Sondern, dass neben der Makro-Sicht auch jene Geschichten wichtig sind, die Einzelne erleben. Oft repräsentieren diese nämlich ganz schön viele Menschen, die anders gar nicht zu Wort kommen würden. Aus einer emanzipatorischen Perspektive ist das vor allem für Frauen & Mädchen, Migrant*innen und andere politische Minderheiten von großer Bedeutung.

von Elisa Ludwig

bento ist ein Online-Format des deutschen Nachrichtenmagazins SPIEGEL


Titelbild: Bianca Xenia Mayer


Die Forschungsarbeit von Bianca Xenia Mayer lautet „Das weibliche Ich im deutschsprachigen Feuilleton. Zum Spannungsverhältnis zwischen journalistischer Professionalität und Geschlechtszuschreibung“ und ist an der Universität Wien erhältlich.



Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Politicas.at, February 01, 2016 at 03:39PM

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