Montag, 1. Juni 2015

Was für ein Land ist das, wenn die Lebensberechtigung eines Menschen nur unter Vorbehalt bestimmter Auflagen gewährt wird?

Kommission-fuer-soziale-Sicherheit-und-Gesundheit-des-NationalratesDie Nationalratskommission lehnt mit 19:1 bei 5 Enthaltungen die Volksinitiative «für ein bedingungsloses Grundeinkommen» ab (CH).

Kommentar zur Kommission von Enno Schmidt

Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates hat Volk und Ständen empfohlen, die Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ abzulehnen. Als Gründe dafür wurden von der Kommission vor allem drei Punkte genannt:



1. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens stellt das System der Sozialversicherungen in Frage und das jetzige System der Bundesfinanzen.

2. Würde das Grundeinkommen jeder Person bedingungslos, so belastet das den Wirtschaftsstandort Schweiz.

3. Der Bund müsste für die Auszahlung eines bedingungslosen Grundeinkommens um die 150 Milliarden Franken pro Jahr mehr einnehmen.

Wir haben noch kein bedingungsloses Grundeinkommen und darum auch noch keine allgemeine Erfahrung damit. Die Ablehnungsempfehlung tut aber so, als ob die Erfahrung schon gemacht ist, die Auswirkung klar ist. Die Veränderungen stellen Bestehendes in Frage. Wäre man sich seiner Fähigkeiten sicher und nicht nur in bestehender Form, könnte man einer neuen Idee auch mal nachgehen und die Perspektiven erleben, die sie öffnet. Das bedingungslose Grundeinkommen ermöglicht mehr. Es ist ein Blick nach vorne. Sind wir denn schon fertig? Soll es bloß so bleiben, wie es ist? Das wäre kein gutes Geschäftsmodell für den Werkplatz Schweiz. Ist Zukunft nur Nachbesserung?
Das Grundeinkommen fasst das heisse Eisen einer sozialen und kulturellen Innovation an.
In der technischen Innovation geht es weniger um Gründe, warum etwas nicht geht, sondern um Lösungen, wie es geht. Vorausgesetzt, man glaubt überhaupt an Entwicklung. Das bedingungslose Grundeinkommen öffnet den Gestaltungsraum. Auch den für mehr Verantwortung.

Was macht die Schweiz und den Wirtschaftsstandort Schweiz stark? Dass Menschen um ihre Existenz bangen und deshalb zu Arbeiten zu treiben sind, die sie nicht wollen? Was für ein Land ist das denn? So ist es nicht. Dass wir uns gegenseitig ein hohes Mass an persönlicher Freiheit gewähren, dass wir uns etwas zutrauen, Sicherheit geben, Achtung entgegen bringen, gleiche Rechte und Chancen für die je eigene Entwicklung und den eigenen Einsatz bieten, das macht die Schweiz stark. Das, was aus Interesse, Engagement und eigenem Willen kommt. Das, was die Schweiz stark macht, verstärkt das bedingungslose Grundeinkommen.
Wenn es kein Vertrauen in die Schweiz und die Schweizer gibt, dann kann man vielleicht nicht dafür sein, dass die Lebensbasis für jeden gesichert sein soll.
Dann könnte man meinen, die Lebensberechtigung eines Menschen nur unter Vorbehalt bestimmter Auflagen gewähren zu dürfen. Was für ein Land ist das? Wollen wir nicht, dass jeder in seine Kraft kommt?
Die Annahme, der Wirtschaftsstandort Schweiz würde durch die bedingungslose Gewährung der Lebensgrundlage für alle gefährdet, ist die Annahme, dass dann nicht mehr der rechte Zug im Schaffen liegt und zu wenige im wirtschaftlichen Zusammenhang tätig sind. Ist das so? Geht man der Frage nach, reduziert sie sich auf die etwa 15 bis 25 Prozent der Arbeitsplätze, die wenig Wertschätzung erfahren und gering bezahlt sind. Wenn sie unverzichtbar sind, könnten sie gerechter Weise auch mehr Wertschätzung erfahren und besser bezahlt werden.

Statistisch gesehen sind es 2 bis 5 Prozent der Bevölkerung, die nach äusserlichem Urteil nichts machen. Heute. Daran sollen wir uns orientieren?

Die Abstimmung über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist eine Richtungsentscheidung und nicht die Entscheidung über ein vorher fertiges Modell. Darin unterscheidet sich diese Abstimmung von den meisten anderen. Es ist eine Abstimmung über eine gesellschaftliche Perspektive und einen Weg, nicht über Zahlen.

Dass der Bund für die Auszahlung des bedingungslosen Grundeinkommen 150 Milliarden Franken im Jahr mehr einnehmen müsse, scheint einem so, wenn man sich auf die Idee des Grundeinkommens nicht einlässt. Dann sieht man nicht, dass das Grundeinkommen sich nicht auf Sozialleistungen bezieht, sondern eine neue Einkommenssituation ist für alle. Das Grundeinkommen ist für alle. In der Empfehlung der Kommission ist das zwar in Zahlen angekommen, aber nicht in der Vorstellung. Darum sagen die Zahlen, es geht nicht. Was aber wird geschehen mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens? Alle bisherigen Einkommen werden durch das Grundeinkommen entlastet. Sie sind entlastet von der Aufgabe der Existenzsicherung. Um den Betrag können sie sinken. Dass jeder in der Schweiz zusätzlich und oben drauf 2 oder 3 Tausend Franken im Monat bekommt ist nicht die Absicht der Initiative. Sondern dass der Grundeinkommensbetrag für alle ein gesellschaftlich rechtliches und bedingungsloses Einkommen wird.
Dem Betrag, den die Grundeinkommen „kosten“, steht der Betrag gegenüber, den andere Einkommen dafür weniger „kosten“.
Das macht einen Betrag von rund 200 Milliarden. Aber das ist nicht zusätzliches Geld. Es ist bestehendes Geld in anderer Weise, eben bedingungslos ausbezahlt. Wenn das dem Bund zu viel Geld ist, könnte auch eine Firma mit der treuhändischen Verwaltung dieses Geldes und der Abwicklung beauftragt werden. Aber der Bund hat schon alle Instrumente dazu. Die Staatsquote steigt, aber unter dem Strich ist es weniger Staat. Weil eine bedingungslose Auszahlung von Grundeinkommen kein Zugriff ist, keine Überwachung und nur wenig Bürokratie braucht. Dann bleibt noch ein finanzieller Mehrbedarf von wenigen Milliarden Franken im Jahr. Der kommt denen zugute, die heute sehr wenig haben. Ein kluge Investition in die individuelle Vielfalt der Leistungsfähigkeit und in die Chancengleichheit. Es kommt darauf an, ob man will, dass ein Grundeinkommen bedingungslos wird. Dann findet man Lösungen. Dann findet man auch Wege der Finanzierung, die kein Abgreifen sind, sondern in gleicher Weise wie das bedingungslose Grundeinkommen Initiative fördern und der Arbeit ihren Wert geben.

Es ist Zeit, neu nachzudenken und selber hinzuschauen, damit der Erfolg nicht im Erfolgten stecken bleibt.

Enno Schmidt, Mitbegründer der Initiative Grundeinkommen in der Schweiz

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Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Grundeinkommen.ch, June 01, 2015 at 01:42PM


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