** Beitrag blacklisted **
Besiegelt wurde der Plan in einer Silvesternacht. An einem der drei Tage im Jahr, an denen das «Haus zur Mitte» in Basel geschlossen ist. Zu betrunken wäre die Kundschaft am Jahresende. Ein Hochdruckgebiet hat milde fünfzehn Grad in die Rheinstadt gebracht. Und während draussen Böller und Champagnerkorken durch die Nachtluft schiessen, sitzen in der menschenleeren Halle des Kaffeehauses zwei Herren vor dem Kaminfeuer. Daniel Häni, der Geschäftsführer des Unternehmens Mitte, und der Künstler Enno Schmidt haben einen tollkühnen Vorsatz für Neujahr gefasst: Sie wollen die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens vor das Schweizer Stimmvolk bringen. Das war vor zehn Jahren.
Heute ist der einstige Hauptsitz der Schweizerischen Volksbank das Basislager der Pro-Kampagne zur Abstimmung vom 5. Juni. Die Idee der Initianten: Arbeit soll vom Einkommen getrennt werden. An einem Donnerstagmorgen, genau achtzig Tage vor dem Urnengang, trifft sich das Kernteam in seinem «Labor» zur Besprechung. Zu den ideologischen Vätern Daniel Häni und Enno Schmidt sind rund zwanzig Aktivisten aus der ganzen Schweiz und dem nahen Ausland gestossen. Sie sind jung, gebildet und gar nicht so abgehoben, wie der Vorschlag vermuten lässt. Zumindest wenn man ihr Schuhwerk betrachtet und daran glaubt, dass, wer solide Schuhe trägt, auch fest im Leben steht.
Was wäre, wenn . . .
Auf einem Holztisch stapeln sich verschiedene Zeitungen, zuoberst liegt der «Blick». In grossen Lettern fragt das Blatt: «Gratis Geld – 2500 Franken pro Monat für jeden, ohne dafür zu arbeiten. Macht das faul oder erfinderisch?» Auf silbernen Tabletts servieren die Aktivisten Milchkaffee in Gläsern und luftige Cornetti – sie sitzen kreisförmig um den zwar grossen, aber trotzdem zu kleinen Tisch. Die Planungssitzung startet mit einer Runde zur Befindlichkeit. Es ist das erste Treffen seit einer medial begleiteten Aktion am Zürcher Hauptbahnhof. Während zwanzig Minuten wurden echte Zehnernoten im Wert von 10 000 Franken an die zur Arbeit eilenden Pendler verteilt. Auf den Noten klebte Werbung für das Anliegen.
Dem Medienecho nach zu urteilen, war die Aktion ein Volltreffer. Kampagnenberater Daniel Graf ist dennoch nicht ganz zufrieden, die Gruppe sei etwas zu unsicher gewesen bei der Umsetzung. Hinzu kam Unvorhersehbares wie eine Verspätung der SBB, welche die Initianten nicht hatten einplanen können. Als sie endlich den Treffpunkt in Zürich erreichten, wartete dort bereits die halbe Schweizer Presselandschaft und über hundert von den Kameras angezogene Schaulustige. «Wo ist George Clooney?», fragte ein junger Mann. Statt einem Superstar erschienen Damen in glitzernden Röcken, einen Fächer mit Bargeld in den Händen. «Es hat genug für alle!», ruft Graf zur Begrüssung in die Menge. Kaum waren die tausend Flyer verteilt, ging es mit dem Zug direkt weiter nach Bern zur Pressekonferenz ins Bundeshaus.
Ein fulminanter Auftakt zu einer Abstimmungskampagne, die im Grunde schon im Oktober 2013 mit einem Lastwagen und acht Millionen Fünfräpplern begonnen hatte. Eine Münze wurde für jeden in der Schweiz lebenden Menschen auf den Bundesplatz gekippt – um die eingereichten Unterschriften zu feiern. Das Bild vom goldenen Geldhaufen ging um die Welt und ziert das Cover des kürzlich erschienenen Buches von Daniel Häni und Philip Kovce mit dem Titel «Was fehlt, wenn alles da ist?». Die Publikation zeigt die Stärken ihrer Autoren: Sie sind international vernetzt und können argumentieren. Obwohl sie über ausreichend Startkapital verfügen, fahren sie in der zweiten Klasse zur Pressekonferenz und sitzen im überfüllten Zug auf der Treppe im Gang. Die Journalistin hingegen holen sie im goldenen Tesla für den Besuch im Labor ab. Denn sie wissen um die Macht einprägsamer Bilder und guter Geschichten.
Ein grosses Abenteuer
Wo lässt es sich entspannter über die Zukunft der Arbeit plaudern als im Wagen von morgen, der per Autopilot von Zürich nach Basel gleitet? Am Steuer sitzt der junge Wirtschaftshistoriker Che Wagner. Er hatte seinerzeit die Idee mit den Fünfräpplern und gehört zum Kern der Gruppe. Studiert hat er an der Universität Zürich, sein Mentor war Professor Jakob Tanner, der bekannt ist für seine pointierten Stellungnahmen zu Zeitfragen.
Im Fond des Wagens sitzt Daniel Häni und erzählt, wie er im Jahr 1990 die «Weltwoche» am Barfüsserplatz kaufte und zum ersten Mal vom bedingungslosen Grundeinkommen las. Die nächsten zwanzig Jahre sollte er seine Arbeitskollegen und Freunde mit dieser Idee nerven. Er sei naiv und ein Utopist oder gar ein Kommunist, musste er sich nicht selten anhören. Dabei habe die Initiative durchaus liberale Züge, weil sie die Freiheit der Bürger stärke, versucht er sich zu rechtfertigen. Mithilfe der Volksinitiative kann er nun die Idee einem breiten Publikum vorstellen. Kritiker werfen ihm einen Missbrauch des politischen Instrumentes vor. Häni kontert: Es handle sich vielmehr seit langem wieder einmal um eine Volksinitiative, die diesen Namen wirklich verdiene. Komme sie doch aus der Bevölkerung und komme ohne die Unterstützung der politischen Parteien aus. Beraten würden sie einzig vom ehemaligen Bundesratssprecher Oswald Sigg. Dank ihm habe man die genaue Ausgestaltung der Umsetzung in der Verfassung offengelassen, was den Abstimmungskampf erleichtere.
Die nächsten Wochen werden für Häni und seine Mitstreiter ein grosses Abenteuer. Lesungen, Vorträge und Medienauftritte reihen sich dicht aneinander. Am 4. Mai werden die beiden Initianten neben dem ehemaligen griechischen Wirtschaftsminister Janis Varoufakis auf einem Podium des Gottlieb- Duttweiler-Instituts sprechen. Auch er reiste seinerzeit medienwirksam in der Holzklasse. Der gescheiterte Politiker stimmt in einen Diskurs mit ein, der von einer Reihe von Ökonomen wie Luc Boltanski oder Thomas Piketty geprägt wird, welche die derzeitige Form des Kapitalismus kritisieren. Vor den Höhenflügen besprechen die Initianten allerdings ihre weiteren Schritte im Labor in Basel. Drei weisse Bilder mit einem Kreis aus echtem Gold sind an die Wand gelehnt. Entworfen hat sie der Grafiker Demian Conrad, der sonst die Plakate für die Art Basel gestaltet. Che Wagner erklärt: «Wir haben Glück und kennen viele Leute, sonst könnten wir uns das nie leisten.» Ihre Aktionen wirkten zwar teuer, seien aber das Resultat einer geschickten Planung. «Wir bekamen vom Unternehmen Mitte einen Kredit von 400 000 Franken für das goldene Kleingeld», sagt Wagner. Sie hätten aber bis auf den letzten Rappen alles zurückgezahlt. Die Hälfte der Münzen kaufte ihnen das Stapferhaus Lenzburg für eine Ausstellung ab. Dort konnten die Besucher während einiger Monate, wie Dagobert Duck in seinem Geldspeicher, im Geld baden. Die andere Hälfte hätten sie der Nationalbank zurückgegeben. Nach dem gleichen Leih-Prinzip sei der Tesla beschafft worden. Einzig das Geld für die Flyer hätten sie aus Spenden finanziert.
Die Schweiz als Think-Tank
Noch immer sitzt die Gruppe im Kreis – die Kaffeegläser sind leer. Punkt für Punkt wird die Traktandenliste abgearbeitet. Anders als bei einer gewöhnlichen politischen Kampagne gibt es hier keine Hierarchien. Alle sind irgendwie Chef, wie jemand sagt. Auffällig ist, dass viele der Sitzungsteilnehmer deutsche Staatsangehörige sind. «Die Schweiz wird zum Think-Tank der Welt», sagt Enno Schmidt. Die Initiative sei so gesehen auch Werbung für die direkte Demokratie – und wäre in Deutschland gar nicht möglich. Darum engagieren sich die jungen Akademiker ausserhalb der gängigen Parteistrukturen. Bis auf Irina Studhalter von den Grünen Luzern hat niemand den klassischen Weg über die Lokalpolitik beschritten.
Dieser scheint nicht zum Zeitgeist der Generation Y zu passen, die mit der Digitalisierung erwachsen geworden ist und so unpolitisch, wie die Wissenschaft behauptet, gar nicht ist. Doch statt über kommunale Vorlagen im Strassenverkehr oder den Bau neuer Spielplätze zu streiten, wollen sie lieber die grossen Themen anpacken. Statt einer Karriere suchen sie einen Sinn im Leben. Bei der Initiative haben einige Vertreter von ihnen ein ideelles Zuhause gefunden – zumindest für die nächsten achtzig Tage. Die Runde im Kaffeehaus schliesst, wie sie begonnen hat: mit dem Äussern persönlicher Gefühle, diesmal aber nur in drei Wörtern. «Freude», sagt jemand, «Dankbarkeit» jemand anders. Als eine junge Frau «Ehrfurcht» sagt, wird es still im Raum.
Weg mit der #Agenda2010
Quelle: via @NZZ, March 20, 2016 at 04:16PM
Feed abonnieren – Autoren | Michael, Hoelderlin, Anita, Ralph ... |
---|