Montag, 12. Oktober 2015

Gedanken eines Lesers

Gedanken zur Sozialen Arbeit  mit den Klienten in unseren Zeiten unter neoliberalistischem Einfluss

Ein Beitrag, der uns von Lothar Hellwich-Heuer aus Braunschweig zugeschickt wurde.

Folgender Text entstand im Sommer 2015 aus den Diskussionen, die ich mit KollegInnen, die ebenfalls im Rahmen ihrer Tätigkeit in einem  Jugendamt mit Klienten tätig sind, führte. Die Inhalte sollen den sturen ergebnisorientierten Blick, der sich aus den Bedingungen der Arbeit in der Institution einschleicht, aufweichen, den Blick auf weitere Bedingungen der Arbeit und der Klienten ermöglichen. Bei mir hält sich die Hoffnung, dass damit sich auch die persönliche Haltung und die Strategien, mit denen der einzelne Sozialarbeiter, die Sozialarbeiterin für die Klienten innerhalb der Institution arbeitet, sich sinnvoll verändern können.

Grundannahmen:

Wir nehmen hin, dass die Strukturen unserer Arbeit stetig zu unserem eigenen Nachteil, aber auch zum Nachteil der Klienten verändert werden, während die Recourcen für die eigentliche Soziale Arbeit verknappt werden, wird die zu leistende Arbeit verdichtet, der reine Verwaltungsaufwand steigt stetig an, der eigene Entscheidungs- und Handlungsfreiraum bleibt zunehmend in Verwaltungsvorschriften und -regelungen hängen.

Wir nehmen hin, dass in den „Sozialen Diensten“ sich kaum noch belastbare Teams bilden können, da der Mangel an Recourcen und die Verwaltungsvorgaben und –strukturen eine befriedigende Arbeit behindern, die KollegInnen stark physisch und psychisch belasten, einige KollegInnen daher häufig und/oder stark erkranken, andere KollegInnen nach einer Zeit der Erfahrungen mit der Arbeit im Sozialen Dienst sich in angenehmere Arbeitsfelder flüchten. Daher behindern verhältnismäßig starker Wechsel und häufige belastende Krankheitsvertretungen die Teams.

Wir nehmen hin, dass Hilfemaßnahmen  auf ein Minimum reduziert werden und dieses Minimum als Standard erklärt wird, obwohl nicht wissenschaftlich belegbar ist, dass eine „Hilfe Light“ nachhaltiger und effektiver wirkt als eine „Hilfe intensiv“.

Wir nehmen hin, dass Klienten nicht die erforderlichen Hilfen erhalten, weil ihnen dafür die erforderliche Einsicht fehlt, sie den Bedarf während einer entscheidenden Konferenz  nicht konkret formulieren können.

Viel zu leicht verzweifeln wir an der Unvernunft unsrer Klienten, in unserer Hilflosigkeit kommen wir zu dem Schluss, dass sie an ihrer Misere selber schuld sind und im Grunde genommen keine Hilfen wollen, obwohl wir den Bedarf deutlich wahrnehmen (manche SozialarbeiterInnen sind vielleicht schon nicht mehr in der Lage, den Bedarf wahrzunehmen, wiegeln bereits im Vorfeld der Ermittlung ab).

Mein Klärungsversuch:

Neoliberalismus leitet sich von liberal ab, was eigentlich „frei“ heißt. Im Neoliberalismus als Staats- und Wirtschaftsform ist aber nicht die Freiheit der Menschen gemeint, sondern die Freiheit des Warenaustausches und des Geldmarktes, diese sollen von ihren Zwängen weitgehend befreit werden, um den Nutzen für die Investoren zu maximieren.

Alles, was den Nutzen der Investoren hemmt ist durch die politischen Organe zu minimieren. Dazu gehören Lohnnebenkosten (Kranken, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung) wie auch die Steuersätze auf Unternehmensgewinne und hohe Einkommen. So werden seit vielen Jahren alle Bereiche der Staatsausgaben, in denen aus Sicht der Nutznießer des Neoliberalismus nur Geld verbrannt wird, wie alle Bereiche der Sozialpolitik, der Bildung, der Gesundheitsförderung und der inneren Sicherheit, wirtschaftlich begrenzt und reglementiert. Das vorhandene Steueraufkommen von Bund, Ländern und Kommunen soll vornehmlich so eingesetzt werden, dass es den Investoren nützt, es in Infrastruktur, Wirtschaftsförderung und ggf. in erforderliche berufliche Bildung  investiert wird.

Spätestens seit der Ära des Bundeskanzlers Kohl wird deutlich, dass wir uns von der sozialen Marktwirtschaft in Richtung Neoliberalismus bewegen (erste Krankenkassenreformen und Rentenreformen), begonnen wurde damit aber gewiss schon in der Ära Schmidt. Den richtigen Schub nahm die Entwicklung unter Bundeskanzler Schröder, der unter dem Decknamen „Fordern und Fördern“ bei der Arbeitsmarktreform (Agenda 2010, Harz 4 etc.) über Abstrafen das „Selbst-Schuld-Prinzip“  der Arbeitslosen wieder einführte, wie er auch die von Arbeitslosigkeit bedrohten Mitbürger in den  „Zweiten Arbeitsmarkt“ (Minijobs, Dumpinglöhne, Scheinselbständigkeit) zwang. Ebenso wurden neben weiteren Krankenkassenreformen und die Einführung der Riesterrente  die Staatsausgaben für diese Bereiche entlastet.

Damit Herrn Schröder und seinen Getreuen dies gelingen konnte, musste vorab Oskar Lafontaine, der den Warenmarkt, vor allem aber den Geldmarkt stärker kontrollieren und reglementieren wollte, um damit den Krisen der kapitalistischen Marktordnung besser begegnen zu können, aus der SPD geekelt werden.

Dieses seitdem mit Sanktionen herrschende „Selbst-Schuld-Prinzip“ oder „Für-Dich-Dumm-Gelaufen-Prinzip“ (wer arbeitslos wird, wer sich nicht, zwar sinnlos, aber oft genug bewirbt oder sich nicht in den „Zweiten Arbeitsmarkt“ zwingen lässt, wer in private Rentenversicherung nicht einzahlen kann, wer sein Zahnarztscheckheft nicht ausreichend geführt hat usw.) hat sich durchgesetzt, bis hin in unsere Soziale Arbeit, macht sich breit als Vorgabe der Verwaltung und als Haltung den Klienten gegenüber.

Dabei haben wir doch vorher gewusst oder mehr geahnt, dass Menschen nicht in der Lage sind, ausreichend [...]

Weg mit der #Agenda2010

Quelle: via @Einmischen.info, October 12, 2015 at 06:43PM

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