Dienstag, 26. Mai 2015

Die Linken denken immer noch gemäss dem alten Arbeitsbegriff

Götz Werner ist ein äusserst erfolgreicher Unternehmer. Wie Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler hat er eine milliardenschwere Ladenkette gegründet. Und er hat viel von ihm gelernt. Heute kämpft Werner für ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle Bürger.

Götz Werner, was bedeutet Ihnen Gottlieb Duttweiler?

Er war mein Vorbild. Unternehmer lernen von Unternehmern, und von Duttweiler habe ich am meisten gelernt. Von ihm stammt auch der berühmte Ausspruch: «Wenn Überfluss und Mangel gleichzeitig auftreten, ist Handeln angesagt.» Wie kein anderer hat es Duttweiler verstanden, Mangel und Überfluss auszugleichen.

Der Migros-Gründer war geprägt von einer Zeit, in der Mangel an günstigen Lebensmitteln herrschte. Müssen wir heute den Überfluss in den Griff kriegen?

Ja. Heute stellt sich die Frage: Auf was wollen wir verzichten? Das ist zu einer Herausforderung für die Menschen geworden. Als ich in den 60er-Jahren meine Lehre begann, lautete die zentrale Frage: Was können wir uns leisten?

Ist die Menschheit dank der Technik heute in der Lage, die Grundbedürfnisse aller zu befriedigen?

Das ist zweifellos der Fall. Wir waren noch nie so reich wie heute. Wir müssen uns deshalb fragen: Wollen wir uns Armut noch leisten?

Tönt das nicht zynisch für diejenigen, die tatsächlich arm sind?

So war das nicht gemeint. Wir müssen uns als Gesellschaft diese Frage stellen. Dass es überhaupt noch Armut gibt, ist ein Skandal.

Gottlieb Duttweiler hat sich als Politiker betätigt, sie setzen sich nun für das bedingungslose Grundeinkommen ein. Warum tun Sie sich das an?

Auch Unternehmer müssen über den Tellerrand schauen und sich fragen: Wie geht es den Kunden, die ich bedienen möchte?

Und beim Gucken über den Tellerrand haben Sie sozusagen das Grundeinkommen entdeckt?

Nein, das war ein langer Prozess. Als ich mit meiner Ladenkette immer mehr Erfolg hatte, musste ich auch immer mehr Leute anstellen. Bei den vielen Einstellungsgesprächen habe ich erkannt, dass Mitarbeiter mehr wollen als nur Lohn. Sie suchen auch einen Lebensschauplatz, Anerkennung und Respekt. So lange aber Einkommen und Arbeit gekoppelt sind, lässt sich das nur schwer realisieren. Viele Menschen haben einen Einkommensplatz und keinen Arbeitsplatz. Deshalb hat sich bei mir langsam die Erkenntnis durchgesetzt, dass man Arbeit und Einkommen trennen muss, und genau das leistet das bedingungslose Grundeinkommen.

Den meisten Unternehmern ist das Grundeinkommen suspekt.

Viele Unternehmer, mit denen ich spreche, wissen, dass Menschen arbeiten wollen und dass sie in der heutigen Konsumgesellschaft zunächst ein Einkommen brauchen. Jeder Mensch benötigt eine ausreichende Kaufkraft, um leben zu können.

Wir müssen uns fragen: Wollen wir uns Armut noch leisten?

Wenn Sie für volle Portemonnaies sorgen, bestätigen Sie dann nicht das Vorurteil, dass ein Grundeinkommen die faulen Menschen belohnt?

Wenn wir wollen, dass die Menschen sich an der Gemeinschaft beteiligen, müssen wir ihnen zunächst den Zutritt gewähren.

Dieser Zutritt erfolgt in der bürgerlichen Gesellschaft über die Arbeit.

Das war auch einst richtig so. Aber dank der technischen Entwicklung hat sich unsere Gesellschaft so verändert, dass dies immer weniger möglich wird.

Mit anderen Worten: In der Überflussgesellschaft wird die Arbeit zum Mangel?

Die «alte» Arbeit, die Arbeit an der Materie, nehmen Maschinen uns zunehmend ab. Früher hat man gearbeitet, um zu überleben. Heute herrscht Überfluss, was die materiellen Güter betrifft. Mangel haben wir bei der «neuen» Arbeit, der Arbeit am Menschen: in den Bereichen Bildung, Pflege, Kunst und Kultur. In diesen Bereichen ist Arbeit nur schwer mess- und bezahlbar. Wie wollen Sie die Arbeit einer Mutter bezahlen? Gerade diese Arbeit wird in der modernen Gesellschaft immer wichtiger, während die Bedeutung der messbaren Arbeit im Produktionsbereich zurückgeht.

Können Sie das präzisieren?

Sie schafft die Voraussetzungen dafür, dass die nicht messbare und damit nicht bezahlbare Arbeit sorgenfrei erledigt werden kann. Heute ist das Einkommen nicht mehr da, um Arbeit zu bezahlen, sondern um Arbeit zu ermöglichen. Das ist der entscheidende Unterschied.

Das klingt einleuchtend. Aber kann man sich damit im harten internationalen Standortwettbewerb durchsetzen, oder nehmen uns die Asiaten dann ganz einfach die Arbeit weg?

Im Gegenteil. Gerade weil wir am alten Begriff der Arbeit festhalten geht uns die Arbeit aus. Sie wird in den Schwellenländern billiger erledigt. Wenn wir uns bewusst machen, wie viel Mangel im mitmenschlichen Bereich besteht, erkennen wir, dass nicht die Arbeit ausgeht, sondern das Einkommen.

Wir schuften uns also arm?

Ja. Jedes Mal, wenn Sie einen Arbeitsplatz wegrationalisieren, lassen Sie auch ein Einkommen verschwinden.

Liegt es nicht im Wesen des Kapitalismus, immer mehr mit immer weniger zu produzieren?

Kapitalismus bedeutet für mich, dass der Mensch Geist auf Arbeit anwendet. Warum konnte Duttweiler einst seine Lebensmittel günstiger anbieten? Weil er die Versorgung der Schweiz neu erdacht hat. Das fing an mit den Verkaufslastwagen, dann kamen die Eigenmarken dazu, die Supermärkte und so weiter. Das war ein enormer Sprung in der Produktivität, deshalb konnte Duttweiler auch billiger anbieten.

Ist das Grundeinkommen ein Sprung auf eine höhere Ebene?

Ja, so kann man das sehen. Es gewährleistet eine Grundversorgung und entkoppelt so die Arbeit vom Einkommen. Damit gibt es jedem Einzelnen die Möglichkeit, nach Herzenslust hinzuzuverdienen. Es belohnt die Tüchtigen und sorgt gleichzeitig dafür, dass die ehrenamtliche Arbeit endlich bezahlt wird, die Mütter oder Trainer von Juniorenmannschaften verrichten. Stellen Sie sich vor, wie viele Menschen mit einem Grundeinkommen endlich den Tätigkeiten nachgehen könnten, die sie wirklich interessieren.

Heute zeichnet sich in Europa eine neue Massenarbeitslosigkeit ab. Was tut das Grundeinkommen dagegen?

Eine scheinbar arbeitslose Mutter, die zwei Kinder erzieht, ist doch nicht arbeitslos. Sie ist erwerbslos. Das ist ein Unterschied. Jeder Mensch, der für andere etwas tut, arbeitet. Mit dem Grundeinkommen gibt es diesen unzutreffenden Begriff «Arbeitslosigkeit» nicht mehr.

Als Schweizer Protestant ist man geneigt einzuwenden: Arbeit darf nicht nur Spass machen, wenn es richtige Arbeit ist, dann muss sie auch wehtun, zumindest ein bisschen.

Wenn Sie Kinder grossziehen, haben Sie auch nicht immer Spass. Es gibt dazu eine schöne Anekdote: Eine Frau wird pensioniert und stellt fest, dass sie von ihrer Rente nicht leben kann. «Ist ja kein Wunder», sagt sie sich. «Ich habe bloss 25 Jahre drei Kinder gross gezogen und 20 Jahre lang meinen kranken Mann gepflegt. Aber gearbeitet habe ich nie.» Das ist doch das Problem.

Ist das Grundeinkommen eine gigantische Umverteilung des Wohlstands?

Es ist Ausdruck von Brüderlichkeit in unserer Gesellschaft. Jeder hat ein Anrecht auf ein Einkommen, also auf ein bescheidenes, aber menschenwürdiges Leben.

Die Linken denken immer noch gemäss dem alten Arbeitsbegriff.

Warum sind dann so viele Linke, insbesondere die Gewerkschaften, vehemente Gegner des Grundeinkommens?

Weil sie immer noch gemäss des alten Arbeitsbegriffs denken, der sagt: Arbeit muss bezahlt werden.

Die Gewerkschaften argumentieren: Bei anständigen Löhnen, die parallel zur Produktivität steigen, brauchen wir kein Grundeinkommen. Dann haben wir genügend Nachfrage und damit auch Vollbeschäftigung.

In diesem Denksystem ist richtige Arbeit nur die Arbeit, die bezahlt wird. Dabei gibt es viel wichtigere Arbeit. So werden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt jährlich 96 Milliarden unbezahlte Arbeitsstunden geleistet. Wir müssen endlich lernen umzudenken, so wie die Menschen im Mittelalter erkennen mussten, dass die Welt nicht flach ist, sondern rund.

Eine grosse Sorge ist die Finanzierung. Erwürgt die Steuerlast, die für ein Grundeinkommen nötig ist, nicht zwangsläufig die Wirtschaft?

Unser Steuersystem ist immer noch auf die Bedürfnisse einer Gesellschaft ausgerichtet, in der sich alle selbst versorgen.

Wie müsste es bei einem Grundeinkommen aussehen?

Weil wir uns nicht mehr selbst versorgen, sondern fremd versorgt werden, darf man nicht mehr fragen «Was hast du geerntet, also verdient?», sondern «Was nimmst du von deinen Mitmenschen in Anspruch?» Man müsste den Konsum besteuern. Wir besteuern noch immer das, was wir produzieren. Das hemmt den Leistungsprozess. Wenn Sie ein Unternehmen gründen, werden Sie über Einkommenssteuern schon im ersten Monat belastet, egal, ob Sie Ihre Leistung am Markt verkauft haben oder nicht. Das ist, bildlich gesprochen, Knospenfrevel.

In der Schweiz scheint die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen zustande zu kommen. Überrascht Sie das?

Nein, das überrascht mich überhaupt nicht. Die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie ist auch die reifste Demokratie. Vielleicht ist sie deswegen so reich geworden. Aber in der Schweiz ist der Bürger souverän. Wenn ich in Deutschland Vorträge über das Grundeinkommen halte, dann werde ich regelmässig gefragt: Aber was sagen die Politiker dazu? Diese Frage ist mir in der Schweiz noch nie gestellt worden[…]

Quelle: via @Migrosmagazin.ch, May 26, 2015 at 10:47PM


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