Dienstag, 19. Mai 2015

Entscheidung ohne Öffentlichkeit – Verfassungsrichter prüfen Hinterzimmer-Politik

Die Linken sagen der Politik in Hinterzimmern den Kampf an. Die Partei klagt vor dem Bundesverfassungsgericht. Ihr Argument: der „Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit“. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben.

Karlsruhe: In der parlamentarischen Demokratie gilt Kompromissfindung als wichtigste Aufgabe der Politik. Doch das oftmals als Kuhhandel geschmähte Ringen etwa zwischen Bundestag und Bundesrat findet in der Regel in den Hinterzimmern der Macht und unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt: in Vermittlungsausschüssen. Sie standen schon mehrfach im kritischen Fokus der Verfassungshüter. Nun prüft Karlsruhe am Dienstag, inwieweit Oppositionsvertreter von der Beteiligung an Arbeitsgruppen eines Vermittlungsausschusses ausgeschlossen werden dürfen.

In dem strittigen Fall wurden die beiden Linken-Vertreter des Bundestags im Vermittlungsausschuss im Dezember 2010 nicht an der Besetzung einer Arbeitsgruppe beteiligt. In dieser Gruppe sowie informellen Gesprächsrunden sollte ein Kompromiss für das Gesetz zur Höhe des Bedarfs von Arbeitslosen gefunden werden.

Wie Arbeitsgruppen zu besetzen sind, ist allerdings unklar. Der Vermittlungsausschuss selbst ist mit je 16 Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat besetzt. Er tritt immer dann zusammen, wenn der Bundesrat einem Gesetzesvorschlag des Bundestags nicht zustimmt, und soll Kompromisse finden, die beide Seiten abnicken können. Die vom Bundestag entsandten Mitglieder werden vom Parlament nach dem Prinzip der Spiegelbildlichkeit der im Bundestag vertreten Parteien für eine Legislaturperiode gewählt.

Nachdem der Bundesrat im konkreten Fall am 17. Dezember 2010 dem Gesetzesentwurf seine Zustimmung verweigert hatte, trafen sich unmittelbar danach die Mitglieder des Vermittlungsausschusses – ohne formelle Sitzung – und einigten sich auf die Bildung einer 18-köpfigen Arbeitsgruppe, die Kompromisslösungen sondieren sollte. Darin waren aus den Reihen des Bundestags je drei Mitglieder von Union und SPD vertreten sowie je eines von den Grünen und der FDP. Die beiden Linkenvertreter blieben außen vor.

Die Linksfraktion klagte deshalb in Karlsruhe und stellte damals zugleich einen Eilantrag auf Teilhabe an der Arbeitsgruppe. Nachdem der Vermittlungsausschuss dann einen Linken-Abgeordneten in die Arbeitsgruppe aufnahm, zog die Fraktion ihren Eilantrag zurück, hielt aber am Hauptverfahren fest.

Nun muss Karlsruhe prüfen, ob das Prinzip der Spiegelbildlichkeit von Parlament und Ausschüssen auch für die Besetzung informeller Arbeitsgruppen und Gesprächsrunden zu gelten hat, oder ob der Vermittlungsausschuss so eigenständig ist, dass er die Größe und Funktion von Arbeitsgruppen für eine möglichst effektive Kompromissfindung selbst bestimmen kann.

Die Linke hofft, dass Karlsruhe die Abgeordnetenrechte auch in diesem Fall stärkt: Bereits 2010 hatte das Gericht dem Geheimgremium enge Grenzen gezogen und dabei auf den „Grundsatz der Parlamentsöffentlichkeit“ verwiesen. Diese Öffentlichkeit sei „ein wesentliches Element des demokratischen Parlamentarismus“, denn sie ermögliche dem Bürger „die Wahrnehmung seiner Kontrollfunktion“ und diene damit „der effektiven Verantwortlichkeit des Parlaments gegenüber dem Wähler“, heißt es in dem Urteil.

Bei den damaligen Diskussionen um die Höhe der Hartz-IV-Hilfen hatte die Arbeitsgruppe übrigens keinen Erfolg. Letztlich mussten doch weitere Politiker von Bund und Ländern ran: Sie arbeiteten einen Vorschlag aus, den der Vermittlungsausschuss dann als seine eigene Empfehlung an Bundesrat und Bundestag weiterleitete. Dort wurde dem Kompromiss endgültig zugestimmt[…]

Quelle: via @Handelsblatt.com, May 19, 2015 at 07:41AM

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