»Das Amt erhält mehr Befugnisse«
Durch vorgebliche Vereinfachung der Hartz-IV-Berechnung werden Bezieher noch schlechter gestellt. Ein Gespräch mit Martin Künkler
Interview: Gitta Düperthal
Foto: Andreas Gebert/dpa-Bildfunk
Martin Künkler ist Sprecher der »Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen« (KOS).
Das Bündnis »AufRecht bestehen« kritisiert, die angebliche Vereinfachung des geplanten Hartz-IV-Gesetzes sei nur ein Vorwand, um Kürzungen durchzusetzen – welche sollen forciert werden?
Die CDU/CSU-SPD-Bundesregierung sieht mit dem Gesetzentwurf eine ganze Reihe inakzeptabler Verschlechterungen für Hartz-IV-Bezieher vor. Die Durchsetzung ihrer Rechte gegenüber dem Amt soll schwieriger werden. Durch reduzierte Leistungen sind finanzielle Nachteile für viele Menschen vorbestimmt. Folgende Gruppen will sie schlechter stellen: Sogenannte Aufstocker werden neue Probleme bekommen; also jene Erwerbstätigen, die so wenig Lohn erhalten, dass sie zum Amt müssen, um davon leben zu können. Getrennt lebende Eltern werden neue Sorgen haben, wenn die Kinder mal beim einen und mal beim anderen leben. Weiterhin werden Menschen darben, die hohe Heizkosten haben – diese soll das Amt künftig nicht mehr vollständig übernehmen.
Sieht der neue Gesetzentwurf etwa vor, Hartz-IV-Beziehern Kosten aufzubrummen, die aufgrund fehlender Wärmedämmung entstehen?
Bislang sind die Jobcenter noch verpflichtet, sich die Heizkosten im einzelnen anzuschauen und sie zu übernehmen, wenn es nachvollziehbare Gründe dafür gibt: beispielsweise wenn die Wohnung schlecht isoliert oder die Heizungsanlage alt ist, oder sie höher zu schalten ist, weil ein Pflegebedürftiger oder ein Kleinkind in der Wohnung lebt. Nach dem Gesetzentwurf sind die Jobcenter nicht mehr verpflichtet, die Kosten zu prüfen. Sie können einfach eine Obergrenze für die gesamte monatliche Warmmiete festlegen. Den Rest müssen Hartz-IV-Bezieher aus ihrem Regelsatz zahlen, der für Essen, Trinken, Kleidung, etc. gedacht ist.
Welche Änderungen stehen für sogenannte Freibeträge an, etwa kleine Verdienste durch geringfügige Berufstätigkeit?
Auf einen »Hammer« müssen sich leistungsberechtigte Arbeitnehmer mit schwankenden geringfügigen Monatseinkommen einstellen: Wer bislang arbeitet, darf bis zu 230 Euro für sich behalten, das Geld wird nicht angerechnet. Der neue Gesetzentwurf besagt, diesen Freibetrag bei der vorläufigen Berechnung wegzulassen: eine heftige Leistungskürzung für viele. Im Nachhinein kann dieses Geld nur erhalten, wer es eigens beantragt. Da die meisten darüber nicht Bescheid wissen, geht die »Vereinfachung für das Amt« auf Kosten der Betroffenen. Ein Skandal!
Welche neuen Probleme erwarten getrennt lebende Eltern mit dem Gesetzentwurf?
Bislang wurde präzise berechnet: Wie viele Tage lebt das Kind in welchem Haushalt. Das Amt wird es nun einfach so machen: Jeder der Elternteile erhält die Hälfte des Geldes. Wo sich das Kind zwei Drittel der Zeit aufhält, werden künftig ungedeckte Kosten entstehen. Dabei hätten getrennt lebende Paare mit Kindern sowieso grundsätzlich mehr Bedarf, als sie erhalten: Es gibt zwei Kinderzimmer; Kleidungsstücke, Spielzeug etc. doppelt. Kindersätze sind extrem mickrig: Für ein Kleinkind unter sechs Jahren gibt es 234 Euro, ab Januar drei Euro mehr.
Wird es zumindest bei Sanktionen Vereinfachungen geben, die Leistungsempfängern zugute kommen?
Die Arbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, hatte angekündigt, bei jungen Erwachsenen unter 25 Jahren das Gesetz entschärfen zu wollen – denn ihnen wird bislang schon bei einem verpassten Termin oder ähnlichem der Regelsatz komplett gestrichen. Im Gesetzentwurf ist davon keine Rede mehr.
Welche Auswirkungen gibt es auf die rechtliche Durchsetzung der Ansprüche?
Das Machtgefälle zwischen Behörden und Bedürftigen wird vergrößert: Das Amt erhält mehr Befugnisse. Wenn ein Gericht etwa entscheidet, dass das Amt falsch entschieden hatte, sollte der entsprechende Betrag bislang für zwei Jahre rückwirkend gezahlt werden. Nach dem Gesetzentwurf ist der Fehler erst ab dem Tag der gerichtlichen Entscheidung zu beheben. Die Bundesregierung sorgt also nicht mit mehr und besser ausgebildetem Personal dafür, dass die Jobcenter rechtskonform arbeiten, sondern will Leistungen derer beschneiden, denen Geld rechtswidrig vorenthalten wurde. All dies will das Bündnis »AufRecht bestehen« abwehren. Am bundesweiten Aktionstag, dem 10. März 2016, werden wir auf die Straße gehen.
Quelle: https://www.jungewelt.de/2015/12-18/005.php
Veröffentlicht mit Word Press für Android von Schulze Norbert
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Quelle: via @Norbertschulze, December 18, 2015 at 12:22PM
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