Schon vor ihrer Einführung hat die neue Abgabe für ARD und ZDF Juristen und Unternehmen auf die Barrikaden getrieben. Nun lässt sie die erste Verhandlung vor einem Landesverfassungsgericht hoffen.
Ein Überweisungsschein für ein Jahr Rundfunkgebühr ARD, ZDF und Deutschlandradio in Höhe von 219,66 Euro inklusive 3,90 Euro Mahngebühr. Im kommenden Jahr soll die Abgabe um 48 Cent pro Monat sinken.
Für einen Anwalt könnte es nicht besser laufen: Ein großer Prozess um ein hitzig debattiertes Thema wie den Rundfunkbeitrag garantiert bundesweite Beachtung. “Das hat schon seinen Reiz”, sagt Ermano Geuer. Was das Verfahren für den 29 Jahre alten Juristen aus Passau besonders macht: Er hat selbst geklagt.
Am heutigen Dienstag ab zehn Uhr verhandelt das Bayerische Verfassungsgericht in München über die Klagen von Geuer und dem Drogerieunternehmen Rossmann gegen den seit Anfang 2013 in Deutschland geltenden Rundfunkbeitrag. Geuers Unterlagen füllen einen dicken Aktenordner.
Die Tatsache, dass ähnliche Klagen von den Verwaltungsgerichten in Bremen und Gera bereits abgewiesen wurden, lässt Geuer kalt. “Wenn ein Richter eine Klage ablehnt, hat er die Sache sofort vom Tisch”, sagt der Jurist.
Hätten die Richter Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrags gehabt, dann hätten sie die Regelung dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegen müssen. “Und so ein Vorlagebeschluss macht viel Arbeit und verlangt dem Richter viel ab.” Da sei es fast verständlich, dass sie die Klagen abgewiesen hätten.
Rossmann zahlt 300.000 Euro
Der Passauer Jurist Ermano Geuer klagt gegen das neue Finanzierungsmodell von ARD und ZDF vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof in München.
In Bayern dagegen richtet sich die Klage direkt an das Verfassungsgericht. Die sogenannte Popularklage ermöglicht es Privatleuten und Firmen dort, gegen ein bayrisches Gesetz zu klagen, ohne direkt davon betroffen zu sein und ohne den mühsamen Weg durch die Instanzen zu nehmen.
Geuer und Rossmann halten die Rundfunkbeiträge für verfassungswidrig, deswegen wenden sie sich ans Landesverfassungsgericht. “Es geht darum, ob der Gleichheitssatz gewahrt ist und ob es sich bei den Rundfunkbeiträgen nicht um eine versteckte Steuer handelt”, sagt Geuer.
Den neuen Rundfunkbeitrag muss jeder Haushalt zahlen – egal ob er einen Fernseher, ein Radio oder einen empfangsfähigen Computer hat oder nicht. Dadurch werde Ungleiches gleich behandelt, argumentieren die Gegner. Betriebe mit wenigen Betriebsstätten würden unterproportional wenig zahlen, Betriebe mit vielen Betriebsstätten oder einem großen Fuhrpark dagegen extrem viel.
Bei Rossmann mit rund 26.000 Beschäftigten und rund 1700 Filialen schlägt die Neuregelung mit einer Verfünffachung des Rundfunkbeitrags zu Buche. “Warum sollte unser Konzern knapp 300.000 Euro im Jahr zahlen für eine Leistung, die niemand in Anspruch nehmen kann? Das ist doch ein schlechter Scherz”, sagt Rossmann-Hausjurist Stefan Kappe. “Würden alle unsere Mitarbeiter unter einem Dach arbeiten, wären jährlich gerade einmal 38.836,80 Euro Rundfunkgebühren fällig.” Es handele sich um eine schwerwiegende Ungerechtigkeit, die im System dieser neuen “Rundfunksteuer” angelegt sei.
Auch Städte hart getroffen
Für Rossmann-Konkurrent dm steigen die jährlichen Rundfunkbeiträge von 94.000 Euro auf 266.000 Euro, bei der Parfumeriekette Douglas von 70.000 Euro auf 393.000 Euro. Bei der Supermarktkette Rewe beträgt der Anstieg fast 1,2 Millionen auf 1,5 Millionen Euro. Die Bahn-Tochter DB Netz zahlt 472.000 statt zuvor 26.000 Euro.
Besonders hart zur Kasse gebeten werden auch viele Städte und Gemeinden. Die Stadt München soll statt 60.000 Euro nun 350.000 Euro zahlen. Und die 225 Kindertagesstätten der Stadt Köln zahlten bislang nur 4.170 Euro für Fernsehen und Radio – und sollen nun 49.000 Euro zahlen.
Diese Inkonsistenzen klagen sowohl Rossmann als auch Geuer an. Um eine versteckte Steuer handele es sich beim Rundfunkbeitrag laut Geuer, weil er – vereinfacht gesagt – nicht für eine konkrete Nutzung erhoben werde. Es gebe keine individuelle Gegenleistung für die Entrichtung. Die Gruppe der Beitragszahler lasse sich nicht von der Allgemeinheit abgrenzen und habe keinen Sondervorteil.
Aber zum Erlass einer Steuer fehle den Bundesländern, die den Rundfunkbeitragsstaatsvertrag im Jahr 2010 unterschrieben haben, die Kompetenz. Auch das mache eine Regelung verfassungswidrig, sagt der Jungjurist.
Wohl keine völlige Abschaffung
Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklagen dagegen für unbegründet. Auch ARD, ZDF und Deutschlandradio berufen sich auf ein Gutachten des Verfassungsrechtlers Paul Kirchhof, der den Rundfunkbeitrag für juristisch unbedenklich hält. Kirchhof verglich den Beitrag mit einer Kurtaxe, die ja auch nicht für eine konkrete Nutzung, sondern nur die mögliche Nutzung eines Angebots erhoben werde.
Die Verwaltungsgerichte in Bremen und Gera folgten dieser Argumentation. Beide wiesen Klagen von Beitragsgegnern ab, die den Rundfunkbeitrag als Steuer ansehen und ihn deshalb für gesetzeswidrig halten. Die Bremer Richter erkannten in der neuen Gebühr einen Beitrag im rechtlichen Sinne. Dieser werde für die abstrakte Möglichkeit erhoben, innerhalb der Wohnung die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Anspruch nehmen zu können.
Hunderte weitere Klagen gegen die neue Rundfunkabgabe sind noch in der Warteschleife. “Die Gerichte warten erst einmal ab, was in meinem Verfahren passiert”, sagt Geuer. Er ist “zuversichtlich”, wolle aber keine Prognose über den Ausgang der Klage wagen.
Dennoch macht der Anwalt den Deutschen keine Hoffnung, dass im Erfolgsfall der Rundfunkbeitrag abgeschafft werden würde: “Rundfunkgebühren werden weiter fällig.” Doch er hält es für möglich, dass das Verfassungsgericht Vorgaben machen könnte, wie der Rundfunkbeitrag in Zukunft gerechter erhoben werden kann. “Da will ich aber nicht vorgreifen.”
Schweiz hat Modell kopiert
Es gibt auch radikalere Positionen. Etwa die von Anna Terschüren, einer Ökonomin, die bereits in Diensten des Norddeutschen Rundfunks stand. Sie kritisierte in ihrer Dissertation, die sie während ihrer NDR-Zeit verfasst hat, die Ausgaben-Mentalität der Sender. Terschüren hält den Rundfunkbeitrag ebenfalls für eine Steuer. Sie will ihn aber nicht reformieren, sondern abschaffen.
“Es sollte eine verfassungskonforme Finanzierungsform gefunden werden, die die bisherigen Unzulässigkeiten vermeidet”, fordert die Ökonomin. Ihr Vorschlag: Steuerfinanzierung der Sender sowie eine Abkehr von Werbung und Sponsoring im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das möge zwar politisch problematisch oder sogar unerwünscht sein, sei aber besonders wegen der Verfassungskonformität der Finanzierung “dringend vorzuziehen”.
Dabei gilt das in Deutschland heiß umkämpfte neue Modell für die Rundfunkgebühren im Ausland als Erfolg. Zumindest in der Schweiz wird nun auch ein Rundfunkbeitrag nach deutschem Vorbild eingeführt. Das hat der Nationalrat, die große Kammer des Schweizer Parlaments, kürzlich beschlossen. Rundfunkgebühren müssen dort künftig von allen Haushalten und den meisten Firmen gleichermaßen gezahlt werden – unabhängig davon, ob sie über Radio- oder TV-Geräte verfügen.
Die Gebühr beträgt in der Schweiz künftig 400 Franken pro Jahr (knapp 330 Euro). Das sind 62 Franken weniger als bisher gezahlt werden mussten. In Deutschland sind es knapp 216 Euro pro Jahr – also viel weniger als in der Schweiz. “Das ist aber nicht verwunderlich”, sagt Geuer. Die Schweiz sei viel kleiner und müsse zudem auch noch Programme in vier Sprachen senden. Das mache es teurer. Ein Preisvergleich mit Deutschland sei aber nicht möglich.
Beitrag soll 2015 sinken
Unabhängig von Geuers Klage wird der Rundfunkbeitrag im kommenden Jahr gesenkt – um 48 Cent pro Monat. Über den genauen Zeitpunkt wird noch diskutiert. Eine Absenkung zum Jahreswechsel halten Medienpolitiker aber für unwahrscheinlich. Eher werde es der erste April, meldet der “Focus”.
Das hänge mit den Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Spätsommer und Herbst dieses Jahres zusammen. Die neu gewählten Länderparlamente brauchen demnach rund acht Monate, um eine schon von den Ministerpräsidenten beschlossene Absenkung des Runfunkbeitrags formell abzusegnen.
Ein sinkender Beitrag wäre zumindest eine Premiere in der Geschichte der Rundfunkgebühren. Auf die Senkung hatten sich die Länderchefs Mitte März geeinigt. Der Beitrag solle danach bis 2019 stabil bleiben.
Dass überhaupt über fallende Gebühren gesprochen wurde, hat auch mit dem neuen Gebührenmodell zu tun. Nach Berechnungen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) nehmen die Sender bis 2016 rund 1,1 Milliarden Euro mehr ein – und das, obwohl vor der Reform von Aufkommensneutralität gesprochen wurde. Daraufhin hat die KEF eine Senkung um 73 Cent vorgeschlagen.
Nehmen ARD und ZDF noch mehr ein?
Der Spielraum könnte aber noch größer sein, denn ein von den Firmen Rossmann und Sixt – auch der Autovermieter klagt gegen den Rundfunkbeitrag – in Auftrag gegebenes Gutachten sieht “selbst bei konservativen Annahmen und zurückhaltender Berechnung Zusatzeinnahmen von mindestens 3,2 Milliarden Euro” in der laufenden Beitragsperiode von 2013 bis 2016.
Das Gutachten der Düsseldorfer Beratungsgesellschaft Dice Consult lässt zudem keinen Zweifel daran, dass die Rundfunkanstalten entgegen anders lautender Beteuerungen von vornherein wussten, dass der neue Beitrag ihnen mehr Geld in die Kassen spülen würde. “Die Frage, ob das hier berechnete erzielbare Aufkommen bei Unterzeichnung des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages im Dezember 2010 hätte prognostiziert werden können, ist uneingeschränkt zu bejahen”, schreiben die Autoren der Studie, Justus Haucap und Hans-Theo Normann sowie Beatrice Pagel und Volker Benndorf.
Immerhin haben die Rundfunkanstalten für den Fall noch höherer Einnahmen bereits vorgesorgt. Sollten sich die Beitragseinnahmen besser entwickeln, als von der KEF prognostiziert, werde die KEF diese Mittel finanzbedarfsmindernd auf die nachfolgende Periode übertragen, schreiben die Sender auf der Seite “Rundfunkbeitrag.de“.
http://www.welt.de/wirtschaft/article126149120/Bayerisches-Gericht-koennte-Rundfunkbeitrag-kippen.html
Weg mit der #Agenda2010
Quelle: via @Norbertschulze, December 10, 2015 at 09:35PM
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